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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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haben recht, Mr. Blavatski, wir hätten sie zurückhaltenmüssen«, sagt plötzlich Mrs. Banister mit sanfter Stimme. »Ich meine nicht, als sie gegangen ist. Nein. Vorher. Man hätte auf ihre Sticheleien anders reagieren müssen.«
    Sie stößt einen leichten Seufzer aus.
    “That was difficult, my dear”
, sagt Mrs. Boyd.
“The woman was the limit!”
1
    »Das stimmt«, sagt Mrs. Banister mit engelgleicher Miene und einer kleidsamen Aureole um ihr schwarzes Haar. »Aber man hätte ihr Spiel nicht mitspielen und ihr nicht jeden Schlag vergelten müssen. Man muß es schon sagen: wir haben ihr geholfen, so aus der Rolle zu fallen.«
    Solche sensiblen Worte klingen erstaunlich, aber angesichts des gerade vorherrschenden Klimas der Nächstenliebe bleiben sie nicht ohne Wirkung. Und ich glaube, daß sogar ich sie für bare Münze genommen hätte, wäre Mrs. Banisters Eichelhäherblick nicht zwischen den Lidern hindurch zu Manzoni geglitten, seine Reaktion zu erkunden.
    Unwissentlich oder absichtlich (denn sie ist vielleicht nicht so naiv, wie sie aussieht) macht Mrs. Boyd der Nummer ihrer Freundin ein Ende, indem sie sich von ihrem Sessel erhebt.
    »Ich gehe mir die Nase pudern«, sagt sie mit einer Andeutung von Koketterie.
    Kindisch lachend durchquert sie trippelnd mit ihrer Krokodilledertasche in der Hand den linken Halbkreis, schiebt den Vorhang zur Seite und verschwindet in der Touristenklasse.
    Man hört einen Entsetzensschrei. Ich springe auf, durchquere den Kreis, der Vorhang teilt sich erneut. Mrs. Boyd kommt zurück, bleich und einer Ohnmacht nahe, die linke Hand gegen das Herz gepreßt. Sie wankt, und ich kann sie gerade noch auffangen. Sie sieht mich mit geweiteten Augen an und sagt mit erstickter Stimme:
    »Wie gräßlich! Ich habe ein Gespenst gesehen.«
    »Aber nein, Madame«, sage ich mit Bestimmtheit. »Es gibt keine Gespenster.«
    »Ich habe es gesehen, so wie ich Sie jetzt sehe«, stammelt Mrs. Boyd.
    Mrs. Banister steht auf und kommt heran, die Stewardess ebenfalls.
    »Lassen Sie sie, ich kümmere mich um sie, Mr. Sergius«, sagt Mrs. Banister mit zuckenden Wimpern.
    »Danke«, sage ich. »Inzwischen seh ich mal nach, was sie erschreckt hat.«
    Ich schiebe den Vorhang zur Seite und betrete die Touristenklasse. Ich komme nicht dazu, einen zweiten Schritt zu machen. Ich erstarre. In der dritten Reihe rechts sitzt auf dem Sessel am Kabinenfenster Madame Murzec. Ich sehe sie im Profil, ihre Hände liegen auf ihrer Tasche, sie hat die Augen geschlossen, und ihre Gesichtshaut spannt sich wie bei einer Mumie.
    »Madame!« sage ich mit erstickter Stimme.
    Keine Antwort. Sie rührt sich nicht. Bin ich jetzt ebenfalls Opfer einer Halluzination? Ich trete näher, strecke die rechte Hand vor und berühre mit den Fingerspitzen ihre Schulter.
    Die Reaktion erfolgt blitzartig. Madame Murzec dreht sich mit einem Ruck um und versetzt mir mit dem Handrücken einen kurzen heftigen Schlag auf die Hand.
    »Was sind das für Manieren?« sagt sie aufgebracht. »Was fällt Ihnen ein? Was wollen Sie von mir?«
    Ich höre hinter mir ein kurzes Auflachen. Ich drehe mich um. Blavatski.
    »Irrtum ausgeschlossen!« sagt er in seinem schleppendsten Tonfall. »Das ist sie!«

KAPITEL 9
    Hinter uns drängt sich staunend der ganze Kreis zusammen, nur Pacaud wagt nicht, Bouchoix allein zu lassen.
    »Madame«, sagt Blavatski, und seine Augen funkeln hinter den dicken Brillengläsern, »würden Sie uns erklären …«
    »Verzeihen Sie, Mr. Blavatski«, sagt die Stewardess. »Es kann nicht die Rede davon sein, daß Madame Murzec eine Erklärung abgibt, bevor sie nicht in die erste Klasse zurückgekehrt ist und etwas Warmes getrunken hat.«
    Wir stimmen ihr zu. Starr und stumm stehen wir gedrängt im Mittelgang und zwischen den Sitzreihen der Touristenklasse, vor und hinter der Murzec.
    Der Schlag, den sie mir auf die Hand gegeben hat, muß lediglich ein Reflex der Überraschung gewesen sein – oder es war ihr Abscheu, nach so vielen Jahren von einem Mann berührt zu werden –, denn sie ist honigsüß, nachdem sie genug Kräfte gesammelt hat, um der Stewardess zu antworten.
    »Tausend Dank, Mademoiselle, für Ihre Freundlichkeit«, sagt sie voller Sanftmut, »aber ich habe nicht die Absicht, die Entscheidung meiner Reisegefährten in Frage zu stellen. Ich habe in vollem Maße verdient, daß sie mich weggejagt haben, und nehme die Strafe auf mich. Und ich möchte Sie alle demütig um Verzeihung bitten für meine Boshaftigkeiten. Im

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