Madru
hast du gezählt?« fragte er seinen Bruder, der erschöpft auf ihn zukam.
»Dreißig. Unser Vater ist gerächt. Keiner der Barbaren ist entkommen. «
»Hilf mir«, sagte Esnir zu seinem Bruder, »wir wollen ihre Leichen aus der Glut ziehen. Dieser Gestank ist eine Beleidigung für die Bäume und für das Schilf.«
»Bist du sicher, daß sie tot sind?«
»So tot wie die Fische, die sie gebraten haben«, sagte Esnir. »Sie sind in diese Falle getappt wie Eichhörnchen.«
»Jetzt sag nur noch, es tue dir leid um sie.«
»Ihre Geister tun mir leid«, sagte Orn, »wo wollen sie hier Zuflucht finden, he! Und zurück in den Süden werden sie sich auch nicht wagen … von wegen der Schande.«
»Und der Geist unsres Freundes Pohul, der Geist der Erle?« »Sie sind im Reich der Schwarzen Fürsten. Bru hat uns Kraft verliehen. Undenkbar sonst, daß wir mit dreißig schwer bewaffneten Männern fertig geworden wären.«
»Unsere Männer wollen ein Fest.«
»Und ich sage: wir feiern erst morgen den Sieg. Töten macht müde, die Luft ist voller schlechter Vibrationen«, sagte Esnir. Einer von denen, die sie für den Überfall angeworben hatten, kam
heran. »Eisen«, sagte er, »alle haben sie Eisen auf dem Leib. Die Männer sind ganz verrückt nach all dem Eisen.«
»Sie werden warten können«, sagte Esnir, »morgen früh wird geteilt. Und dann feiern wir. Sag ihnen: beim dritten Eulenruf fahren wir ab zur Wollinsel. Es ist sicherer so. Man kann nicht ausschließen, daß sich noch mehr von diesen Halunken hier herumtreiben.«
DRITTES KAPITEL
Madrus Kindheit • Ein Skalde kommt
Madru und Eigar unter den Schwingen der beiden Greifen
Seine erste Liebe
In diesem Sommer war der Junge fünfzehn Jahre alt. Er wirkte mager und hochaufgeschossen und war hellblond. Wenn man ihn ansah, beeindruckten am meisten seine großen, weit aufgerissenen Augen, die immer in die Welt blickten, als sei er gerade einem Wunder begegnet und davon noch etwas geblendet.
Der Junge hieß Madru und gehörte zum Haushalt des Jarl Aldur auf Skolund. Die Mutter war eine Sklavin, die in der Küche Dienst tat. Sie hatte den Namen Orna. Von dem Vater des Jun-gen ging das Gerücht, er sei, vor dessen Geburt noch, von einem Baum erschlagen worden. Wie die meisten Vierzehnjährigen war Madru im letzten Jahr als Treiber bei den Jagden mitgegangen, ohne sich allerdings besonders auszuzeichnen. In zwei Jahren würde er in der Miliz Dienst tun. In diesem Jahr hockte er zusammen mit den beiden Söhnen des Jarl im Schreib-, Lese- und Rechenkurs. Der Jarl hatte die Teilnahme eines Sklaven an den Schulstunden, die gegen Sitte und Gewohnheit verstieß, damit zu rechtfertigen versucht, daß er den Jungen später als Schreiber verkaufen wolle. Im Unterricht mußte Madru sich nicht eben übermäßig anstrengen. Während den beiden anderen der Stoff durch häufige Wiederholung gewissermaßen eingetrichtert werden mußte, begriff er rasch und behielt, was er einmal aufgenommen hatte, für immer.
Es war für den eulengesichtigen Magister, einen Mann, der im Ruf stand, weit in der Welt herumgekommen zu sein, erst recht aber für die Söhne des Jarl etwas peinlich, daß ausgerechnet der Sohn einer Sklavin fast mühelos lernte und auch vom Lernen nie genug bekommen konnte. Die anderen Jungen nannten ihn einen Streber. Sie ließen keine Gelegenheit aus, ihm seine Intelligenz, bei der es ihrer Meinung nach nicht mit rechten Dingen zuging, als Vergehen anzurechnen.
Im übrigen war Madru auf der Hofstatt beliebt, denn er war ein guter Kassarspieler. Trotz seiner Magerkeit und nicht allzu großer Körperkräfte gefiel er durch seine fast tänzerisch wirkende Gewandtheit und seinen geradezu störrischen Einsatzwillen. Ein guter Kassarspieler zu sein, galt viel auf den Hofstätten an der Grenze. Für diesen Sport begeisterten sich alle. Selbst der Jarl ließ es sich nicht entgehen, das Endspiel der Meisterschaft, die unter den Mannschaften von jeweils zehn Hofstätten ausgetragen wurde, anzuschauen, und es hatte seinem Stolz geschmeichelt, daß beim Winterpokal, bei dem Madru zum ersten Mal in der Ersten Mannschaft eingesetzt worden war, dieser im Finale durch einen bravourösen Vorstoß von der Vierzigfuß-Linie zum Mal den Cup für Skolund hatte gewinnen helfen.
War der späte Vormittag mit dem Kassartraining ausgefüllt und hielt am Nachmittag Magister Kelby seine Schulstunden ab, so erwartete man, daß ein Sklavenjunge am Morgen in einer der Werkstätten zur Hand
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