Madru
Spinnweben gerochen. Ein Duft, von dem er zunächst annahm, daß ihn der Skalde in der Halle mittels eines nur ihm bekannten Zaubers als Zutat zu seiner Geschichte ausstreue, bis Madru bemerkte, daß er vom Atem und der Haut dieses nun zunehmend wunderbaren Wesens herrührte, das neben ihm stand.
Als dann der Schwarze Dieb, von dessen Abenteuern der Skalde so anschaulich zu erzählen wußte, das erste Mal in Bedrängnis geriet, sich nämlich unvermittelt drei Riesenkerlen gegenübersah –was wehte da mit dem Duft, dessen Eigenart Madru vergeblich genauer zu bestimmen versuchte (roch das nach Brombeeren, nach Quitten, nach Minze oder ganz einfach nur nach frischem Gras, auf das Regen gefallen ist?), mit zu ihm herüber? Nichts anderes als die von Eigar vielleicht nur so vor sich hingemurmelte Feststellung, sie fürchte sich.
Es sei eine Geschichte, nichts als eine Geschichte, versuchte er, sie zu beruhigen.
Worauf er sie seufzen und nur aussprechen hörte, was in jenem Augenblick jeder unter den Zuhörern dachte: »Ach, wenn nur ein Ritter käme!« Dabei fühlte er, wie Eigar seine Hand ergriff und sie vor Erregung fest drückte.
Nun war Madru selbst viel zu begeistert von Ritter- und Zaubergeschichten, als daß er nicht bedingungslos in diese Forderung eingestimmt hätte, daß ein Ritter her müsse, wo ein Ritter gebraucht wird. Und weil dieser in der Erzählung länger auf sich warten ließ als dies billig schien, löste Madru seine Hand aus der des Mädchens, und legte sie beschützend, gleichsam in Vertretung des ausbleibenden Ritters, um ihre Schultern und zog Eigar und mit ihr den schönen Duft näher zu sich heran. So verharrten sie auch weiter, als sich zwar im Märchen immer noch kein Ritter hatte blicken lassen, es aber dem Schwarzen Dieb längst gelungen war, die drei Riesenkerle durch den Griff nach der Zaubernuß davon zu überzeugen, daß sie besser daran taten, sich ihm als Hilfswillige im Kampf gegen den schauerlichen Drachen anzuschließen, den zu besiegen ihm aufgetragen war.
Nicht weniger und nicht mehr ereignete sich zwischen dem Jungen und dem Mädchen in dieser Erzählnacht und in den folgenden drei Nächten, als Madru und Eigar unter dem schweren Teppich, in den das Wappen des Jarl Aldur eingewebt war, gemeinsam andächtig lauschten.
Doch in der sechsten, der vorletzten Nacht geschah dies: Als sie nämlich, vorsichtshalber kurz vor Ende der Erzählstunde, auf Zehenspitzen hinausschlichen, als von ihm ein leises »Gute Nacht« geboten, das von ihr noch leiser beantwortet worden war, griffen plötzlich ihre Hände zielsicher und gar nicht ungeschickt seinen Kopf und zogen ihn in die Nähe des schönen Dufts, und Madru verspürte, welche Empfindungen ein Kuß auszulösen vermag. Es war angenehm. Es war mehr als angenehm. Wie sollte man es nennen, was den ganzen Körper durchkitzelte, schärfer als die Erregung bei einer immer rascher werdenden Schußfahrt auf einem Schlitten, herrlicher als das Gefühl, das einen überkam, wenn man aus dem heißen Badehaus hinausrannte und sich draußen im Schnee wälzte – es war Glück. Ja, danach wußte er, was dieses Wort wirklich bedeutete.
Als er wieder zur Besinnung kam, als er sich diese Lust, die er eben entdeckt hatte, noch einmal verschaffen wollte und fand, nun dürfe die Initiative dazu wohl auch von ihm ausgehen, war das Mädchen fort. Er tröstete sich damit, daß der Skalde immerhin noch einen Abend erzählen werde. Doch an diesem letzten Abend kam Eigar nicht. Madru wartete das Ende der Geschichte nicht ab. Es roch wieder nur noch nach Staub und Spinnweben. Das machte ihn traurig. Erschreckt stellte er fest, daß Eigar ihm wichtig geworden war, so wichtig, nein wichtiger noch als die schönste Geschichte. Nur mit dem Mädchen, seinen Arm um ihre Schultern gelegt, mit den Fingerspitzen ihre Brüste berührend, hatte die Geschichte Glanz und Wunder gehabt.
Er stahl sich davon, aber statt sich in der Hütte der jungen Männer schlafen zu legen, kroch er in sein Versteck und blieb dort bis zum Morgen hocken. Es war ihm, als habe er etwas vergessen. Es wollte ihm nicht einfallen, was es gewesen war. Zum zweiten Mal in seinem Leben spürte er, was Einsamkeit ist. Die anhaltende Traurigkeittlarüber, daß sie nicht gekommen war, würgte die Frage, die er den ganzen Tag mit sich herumgetragen, für die er immer wieder Worte zu finden versucht hatte, in ihm ab. Sie saß ihm wie ein Kloß im Hals, und doch konnte er sich nicht einmal daran
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