Madru
Mutter, die auf ihrer Meinung beharrte, man könne nie wissen, was aus einem Kind, und sei es das einer Sklavin, nicht noch alles werden könne. Ich habe nie bereut, den Rat meiner Mutter befolgt zu haben … auch ohne zu wissen, daß das Kind einst über das Reich des Großen Waldes herrschen werde, habe ich den Jungen liebgewonnen und mich so manches Mal, wenn ich ihn vor mir sah, darüber gefreut, daß er am Leben geblieben ist.«
»Erlaubt,« sagte der Fremde, »daß ich nun das Ereignis auch noch in der Chronik nachlese. Danach will ich das Sternenkind kennenlernen und ein Protokoll über die Umstände anfertigen, unter denen ich es aufgefunden habe.«
Der Jarl zog an einem Glockenzug. Tiss kam wieder herein, und der Jarl befahl ihm, das Buch herbeizuschaffen. Madru aber schlüpfte hinter dem Teppich hervor, öffnete leise die Tür zum Gang und schloß sie ebenso vorsichtig hinter sich wieder. Dann begann er zu rennen. Die Treppe hinunter. Er schaute in die Küche hinein, wo er seine Mutter auch diesmal nicht fand, lief hinaus auf den Hof zum Brunnen. Da traf er sie beim Wäschewaschen an.
»Mutter«, rief er ihr noch im Rennen entgegen, »ist es wahr, daß der Jarl mein Vater ist?«
»Wer sagt das?«
»Er selbst hat es einem Fremden erzählt.«
»Es ist die Wahrheit«, antwortete sie, »der Jarl ist dein Vater. Ich durfte es dir nicht sagen. Er hätte es dir längst sagen müssen. Er wollte wohl damit warten, bis du erwachsen bist.«
»Aber ich bin erwachsen.«
»Es ist nicht recht, daß du es so erfahren hast.«
»Das kümmert mich nicht.« Er stampfte mit dem Fuß auf, empört, daß sie nicht erriet, was ihn viel stärker beschäftigte. »Ich mag nicht ihr Sternensohn sein. «
»Aber mein Kleiner«, sagte sie liebevoll, »damit hast du dein Glück gemacht.«
Er blickte zu Boden. Das Wort »Glück« erinnerte ihn an den Satz, den die Möndin zu ihm gesagt hatte. Jetzt war es ihm klar. Er hatte ihn falsch gedeutet. Das Mädchen würde nicht kommen.
Er fühlte sich wie zerschlagen. Dann vergaß er sein Elend für einen Moment und sagte wieder eigensinnig: »Ich werde nicht ihr Sternensohn sein.«
»Warum denn nicht? Du wirst ein herrliches Leben haben. In der Fürstensiedlung …!«
Er wollte nicht dieses herrliche Leben. Er wollte nicht sein wie der Jarl und die anderen mächtigen und vornehmen Herren. Er suchte vergebens nach Worten, um seinen Widerwillen auszudrücken und zu begründen.
»Man sucht sich seinen Platz auf Erden nicht aus, mein Kind«, sagte die Mutter.
»Ich will ihn mir aber aussuchen.« Er warf trotzig den Kopf in den Nacken. »Komm, laß uns zusammen fortlaufen. In den Wald, Ich kann für dich sorgen, dich beschützen.«
»Sie würden uns bald eingeholt haben.«
»Komm, Mutter!« sagte er beharrend.
»Sei doch vernünftig, Kind.«
»Warum denn immer vernünftig sein?«
»Ich bitte dich … hör auf deine Mutter.«
Da schrie er gellend auf. So laut, daß es nicht nur alle Menschen auf Skolund und alle Tiere, sondern auch die Bäume und selbst die Steine mit anhörten und darüber erschraken. Er lief weg. Er wußte nicht wohin. Sein Versteck fiel ihm ein. Er kam an die Hekke. Sie schien ihm zuzuwinken mit ihren Ranken. Er ließ sich auf die Hände nieder. Er kroch bis in den finsteren Bauch in der Hecke. Er schlug die Hände vors Gesicht. Es war ganz finster. Er hörte die Rufe und das Geräusch von Schritten auf dem Hof. Stimmen nahebei. Sie kamen näher. Was da zusammenlief, mußten fast sämtliche Leute sein, die auf Skolund lebten. Sie redeten aufgeregt durcheinander.
Sie forderten ihn auf, herauszukommen. Er müsse. Sie drohten. Sie schmeichelten. Sie sagten, es sei seine Pflicht. Er lächelte in sich hinein. Er hörte, wie sie beratschlagten. Dann erkannte er die Stimme des Jarl. Die Stimme sagte stolz: »Er hat meinen Eigensinn.«
Jemand schlug vor, man solle die Hecke doch einfach anzünden. Das werde ihn schon hervortreiben. Er dachte: Dann verbrenne ich eben. Es ist kein Glück, zu den Mächtigen zu gehören. Er hörte den Fremden sagen: »Was für ein törichter Vorschlag. Geht alle fort. Freilich ist er verwirrt. Das ist doch wohl begreiflich. Laßt mich mit ihm allein.«
Er hörte, wie sie sich entfernten, murrend, schwatzend. Der Fremde setzte sich auf den Erdboden vor der Hecke und begann auf seiner Fiedel zu spielen. Die Melodie klang verlockend. Sie war wild. Sie war aber zugleich auch sanft. Madru spürte, wie es ihm warm ums Herz wurde. Er dachte an
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