Madru
Möndin ihn gelehrt hatte. Geh morgen um die elfte Stunde in die große Halle, wiederholte er in Gedanken ihre Anweisung. Es fiel ihm ein, daß er am Vormittag um diese Zeit Kultan, dem Schmied, helfen sollte. Was würde der dazu sagen, wenn er ihm mit einer so merkwür-digen Geschichte kam und um Urlaub bat? Aber dann wurden diese Bedenken verdrängt von der Freude, daß er morgen … in ein paar Stunden schon, Eigar wiedersehen werde.
Gestärkt durch die Möndin, würde Eigar selbstverständlich den Mut haben, seine Liebe zu ihm vor aller Welt zu bekennen. Er biß sich in die geballte Faust, um nicht aufzuschreien vor Freude und damit seine Kameraden zu wecken.
Der Morgen kam. Es war ein sonniger, klarer Tag im Monat der Erlen, ein Tag, der begann wie viele andere.
Nach dem üblichen Frühstück, einer Schüssel Ziegenmilch mit Blaubeeren, hörte sich Madru unter den Stallburschen, Knechten und Mägden, mit denen er auf vertrautem Fuß stand, um, obetwas über die Ankunft von Gästen bekannt geworden sei. Keiner hatte etwas gehört. »Aber es werden Gäste kommen«, beharrte Madru. Und dieser Satz wurde später, wenn auf Skolund von den Ereignissen dieses Tages die Rede war, immer wiederholt.
Um sieben Uhr ging Madru zu Kultan in die Schmiede. Er brachte es nicht gleich über sich, Kultan für später um Urlaub zu bitten. Er zögerte mit der Frage, bis draußen im Hof die elfte Stunde geschlagen wurde. Jetzt durfte er nicht länger warten. Er berührte Kultans schwarzbehaarten Arm und brachte seine Bitte vor. Jetzt würde er fragen »Warum denn?« und was er sich denn einbilde und ihm dann befehlen: »Marsch, zurück an die Bälge und fest getreten!«
Statt dessen erwiderte Kultan: »Ja … geh nur. Ich weiß schon. Es ist schade, mein Junge. Wir werden uns wohl nie mehr wiedersehen.«
»Wer sagt das?» fragte Madru bestürzt.
»Die Möndin hat es mir geflüstert«, antwortete Kultan lächelnd. »Ja, aber …«
»Geh nur. Es wird Zeit …«
Von der Schmiede lief Madru in die Küche, um mit seiner Mutter zu reden. Vielleicht wußte sie etwas über den Besuch, den er erwartete. Er traf sie dort nicht an. Zwei Mägde tuschelten, als er eintrat. Er verstand nicht, was sie sich erzählten. Er sah sich ratlos um. Der Ehemann der einen Magd kam herein und sagte: »Stellt euch vor … er ist zu Fuß gekommen. Den ganzen weiten Weg zu Fuß.«
»Wer ist zu Fuß gekommen?« fragte Madru.
»Was hat dich das zu kümmern, du Grünschnabel«, erwiderte der Mann grob. An seinem Verhalten war aber zu erkennen, daß ein Gast eingetroffen war, mit dem es etwas Besonderes auf sich haben mußte.
»Sie sind in die Halle gegangen«, erzählte der Knecht zu den Frauen gewandt. »Ich soll ihnen Wein bringen. Jetzt am hellen Vormittag schon Wein«, fügte er mißbilligend hinzu.
Wein trank man auf Skolund nur bei außergewöhnlichen Anlässen. Madru hatte genug gehört. Für ihn war sicher, daß sich das Mädchen unter den Schutz eines Ritters gestellt und dieser sie hierhergebracht hatte. Jetzt würde der Jarl den Mann zu einem Trunk einladen und sich in wohlgesetzten Worten bei ihm bedanken, während Eigar sich an jenen Platz schlich, an den die Möndin auch ihn bestellt hatte. Wunderbar doch, wie so alles in Erfüllung ging.
Madru warf noch einen raschen Blick auf den Mann und die beiden Mägde, von denen die eine sagte, wenn der Jarl Wein verlange, müsse sie erst noch in den Keller. Sie war aufgeregt, beschäftigt. Mit einer raschen Bewegung entwischte Madru aus der Küche.
Der Weg durchs Haus hinauf zur Galerie war viel kürzer als der andere, den er sonst immer hatte nehmen müssen. Und er hatte Glück, daß eben in dem Moment, als er oben die Tür vom Gang her öffnete, unten der Wein aufgetragen wurde. Er hob den schweren Wandteppich an. Nein, das Mädchen war noch nicht da. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, daß sie bald kommen werde und schlüpfte unter den Teppich.
»Danke, Tiss. Es ist gut so. Du kannst jetzt gehen. Und sorge dafür, daß wir ungestört bleiben«, hörte Madru unten den Jarl sagen. Tiss' Schritt dröhnte unten in der Halle. Dann schlug eine Tür zu. Madru preßte das Gesicht an das fadenscheinige Gewebe. Für einen Augenblick hatte er Eigar vergessen.
Der Gast, der neben dem Jarl stand, war ein älterer, kleiner, eher unscheinbar wirkender Mann. Er hatte nur noch wenig Haar auf seinem runden Schädel. In seinem Gürtel steckte ein schwarzer Stab und auf dem Rücken hatte er eine Fiedel.
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