Madru
ganz bequem.«
Eine Weile sagte Madru nichts mehr, »Zaubert Ihr vielleicht den Weg?« fragte er später.
»Na, na … wer wird denn gleich an Zauber denken?«
»Aber woran erkennt Ihr, wohin wir uns halten müssen? Und wie kommt es, daß es so wenig Mühe macht, mit Euch zu gehen?« »Nun«, sagte Ase, »man muß sich eben auskennen. Vor allem muß man richtig atmen, wenn man gut gehen will.«
»Und wie lernt man, sich damit auszukennen?«
»Das ist der Weg des Waldes«, erwiderte Ase, »ich mag die Bäume, die Bäume mögen mich. Wir reden miteinander. Sie sagen mir, wohin ich gehen soll.«
»Heißt das: man kann lernen, sie zu verstehen?«
»Gewiß doch.«
»Und wie?«
»Indem man ihnen geduldig zuhört, indem man sich ihre Gestalt einprägt, indem man mit ihnen lebt.«
»Das würde ich auch gern lernen«, sagte Madru, »… oder macht Ihr Euch nur über mich lustig?«
»Aber nicht doch«, sagte Ase, »du bist schon dabei, das zu lernen, was es da zu lernen gibt.«
»Erklärt mir das genauer!«
»Der Anfang ist einfach. Es geht eigentlich nur darum, sich klar zu machen, was wir sehen, hören, riechen und schmecken … ja, schmecken auch. Man kann eine Buche oder eine Reihe Weiden an einem Bach schmecken … freilich: sie atmen doch auch. Man kann, mit einiger Übung, an diesem Atem erkennen, ob sie gesund oder krank, ob sie vergnügt und bei guter Laune sind, oder ob sie sich gerade aufgeregt haben. Ehe sich unsere Wahrnehmungsfähigkeit erweitert, müssen wir sie einfach ständig schärfen. Sieh mal, die Flechte dort drüben auf der uns zugewandten Seite des Baumes. Warum wächst sie gerade auf dieser Seite und nicht auf der anderen? Ist das nur Zufall, was steckt dahinter? Oder die Blumen, von denen wir vorhin große Büsche sahen. Sie wachsen nur in Gegenden, in denen es feucht ist ... feucht, aber nicht sumpfig. Die Feder dort zwischen den Ranken stammt aus dem Gefieder eines Kiri-Vogels. Es ist eine seltene Vogelart, sie pflegt nur auf bestimmten Bäumen zu nisten, von denen sie sich nie allzu weit entfernt. Wenn wir jetzt im Umkreis von zwei- bis dreihundert Schritt suchten, würden wir mindestens einen dieser Bäume finden. Das sind Beobachtungen, zu denen jeder fähig ist. Jede für sich scheint unbedeutend. Wenn du solches Wissen sammelst, kommt der Augenblick, in dem du den Wald plötzlich mit anderen Augen siehst. Man nennt das ›den Traum vom Wald‹. Dann benötigst du keine Landkarte mehr, um im Wald deinen Weg zu finden.«
»Ich verstehe.«
»Nichts verstehst du«, sagte Ase. Er klatschte in die Hände. »Hast du das gehört?«
»Ja doch.«
»Mach es nach!«
Madru klatschte in die Hände. Irgendwo flogen erschreckt Vögel auf.
»Jetzt klatsch einmal nur mit einer Hand.«
»Das geht nicht.«
»Na schön«, sagte Ase, »aber versuch einmal, es dir vorzustellen.« »Verrückt«, sagte Madru, »das geht. Ich ahne, wie es geht.« »Siehst du«, sagte Ase, »damit haben wir etwas sehr Wichtiges klargestellt. Es gibt Dinge, die scheinen nicht möglich, aber bei Anstrengung unserer Willenskraft gibt es sie doch. Es gibt sie nicht, aber obwohl es sie nicht gibt, können wir sie uns doch genau vorstellen.«
»Tatsächlich«, murmelte Madru und stolperte im gleichen Moment über eine Wurzel.
»Holla!« rief Ase und hielt ihn am Arm fest, »so war das nicht gemeint. Das Klatschen der einen Hand … man lernt es hören, damit man den Weg des Waldes besser gehen lernt, nicht damit man hinfällt.«
»Was soll denn das nun schon wieder heißen?« Madru verzog das Gesicht. »Ihr habt eine merkwürdige Art zu reden. Hat Euch das noch niemand gesagt? Ihr sprecht von den Dingen zuerst immer so undeutlich, daß man nur ahnen kann, was Ihr meint, und erst danach dann so, daß man sie ohne weiteres versteht.«
»Es ist recht, daß du protestierst«, erwiderte Ase, »freilich sollte man komplizierte Dinge möglichst einfach sagen. Laß es mich noch einmal versuchen: Du stellst dir das Klatschen einer Hand vor – nicht um dich aus der Wirklichkeit davonzumachen. Du mußt dahin kommen, die Wahrnehmungen des Sichtbaren und des Unsichtbaren in dir zu balancieren.«
»Oh«, stöhnte Madru, »wie lange wird es wohl dauern, bis ich all das gelernt habe? Es hört sich kompliziert an.«
»Ja doch … es ist schwierig«, sagte Ase, »aber wenn ich es gelernt habe, wirst du es auch lernen können. Und wenn alles so leicht wäre wie ›Hurra‹ schreien, brauchte man sich gar nicht erst damit zu befassen.
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