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Madru

Madru

Titel: Madru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Hetmann
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bin?«
    Mehr war da nicht zu tun. Das Messer war hingegeben. Er konnte Kultan, den Schmied, bei dem er manchmal Bälge trat, bitten, ihm bei Gelegenheit ein neues Messer zu schmieden. Sobald er Zeit hätte, würde der Schmied ihm den Gefallen gewiß tun. Mit gesenktem Kopf stand Madru da und Gedanken reihten sich an den Namen des Schmieds. Kultan prügelte ihn nie wegen eines Vergehens oder einer Ungeschicklichkeit. Kultan wußte Geschichten aus dem Osten. Vielleicht war Kultan sein Vater. Nein, das konnte nicht sein. Madru erinnerte sich daran: der Jarl hatte Kultan von einer Reise an die Küste mitgebracht. Damals war er, Madru, fünf oder sechs Jahre alt gewesen. Aber wer war dann sein Vater, wenn nicht Kultan? Ein Mann, der von einem Baum erschlagen worden war. Das war auch nur ein Gerücht. Madru wollte mehr über seinen Vater wissen. Er hätte seine Mutter fragen können. Aber das getraute er sich nicht. Es mußte etwas Unangenehm-Peinliches um diesen Vater sein, sonst hätte die Mutter gewiß von sich aus schon einmal darüber gesprochen. Statt dessen wich sie aus, lenkte ab, wenn sich ein Gespräch diesem Thema näherte. Aber er wollte, er mußte es wissen. Und so bat er jene steinerne Mutter, um die das Geräusch des fließenden Wassers war, auch noch um dies: »Laß mich herausfinden, wer mein Vater ist. Mach es mir bekannt. Es steht in deiner Macht. Dessen bin ich gewiß.«
    Zeit verging, Tage und Wochen verstrichen, ohne daß ein Ereignis eingetreten wäre, das auf die Erfüllung seiner Bitten hindeutete. Nichts änderte Madrus traumkranken Zustand. Aber dann geschah in einer Vollmondnacht im Monat der Erlen dies: Mitten in der Nacht wurde Madru von der Helligkeit draußen wach. Er besann sich darauf, daß er wieder von Eigar geträumt hatte. Ein Gefühl von Enttäuschung überkam ihn, als er nun vollends erwachte, mit seinen Fingern nicht ihr Haar und ihre Haut neben sich ertastend, sondern stachliges Stroh. Er seufzte, legte sich auf den Rücken. Der Mond kam ihm heute runder, größer und weißer vor als sonst. Er starrte gebannt auf diese weiße Rundheit. Es ging eine Sanftheit von ihr aus, die angenehm war, beruhigend.
    Plötzlich – er traute zunächst seinen Augen nicht – trat etwas aus dieser milchig-nebligen Weiße hervor. Eine Frau … nicht irgendeine, sondern, ganz deutlich für ihn zu erkennen, die mittlere, die mutterhafte unter den drei Darstellungen der Göttin der Schöpfung. Sie trat heran, beugte sich über ihn und strich ihm mit der Hand über die Stirn. Dann fragte sie, ob er sich jetzt besser fühle. Er nickte. Tatsächlich verspürte er ein Gefühl von Entspannung. »Höre, Madru«, sagte sie flüsternd, »geh morgen um die elfte Stunde in die große Halle des Jarl und verbirg dich unter dem Teppich mit den beiden Greifen.«
    Madrus Augen zuckten: »Kommt das Mädchen? Schickt Ihr es zu mir?« fragte er aufgeregt.
    »Du wirst dein Glück finden«, erwiderte die Möndin. »Wirklich? Ich danke Euch. Ich danke Euch von ganzem Herzen.« »Merk dir diese Worte«, sagte die Möndin, »was man von ganzem Herzen liebt, das kann einem nicht genommen werden. Was du von ganzem Herzen liebst, das ist deine wahre Erbschaft. Der Rest ist Schlacke.«
    Sie richtete sich auf. Wie sie dort stand, erschien sie ihm groß und allmächtig.
    »Hast du mich verstanden?«
    »Gewiß habe ich das.«
    »Dann sprich nach, was ich dich gelehrt habe.«
    »Was ich von ganzem Herzen liebe, das kann mir nicht genommen werden. Was ich von ganzem Herzen liebe, das ist meine wahre Erbschaft. Der Rest ist Schlacke.«
    »Gut so. Vergiß diese Sätze nie. Zweifele nie an ihrer Gültigkeit. Versprich mir das.«
    »Ich verspreche es.«
    Das Gesicht, die Gestalt der Frau waren verschwunden. Ihm aber war, als ströme neue Kraft durch seinen Körper. Er fühlte sich so sicher, wie er sich nie zuvor sicher gefühlt hatte. Es war, als würde die Zeit angehalten. Er trat auf eine weite Wiese. Auf dem Gras lag Tau. Ein Feuer zuckte knatternd auf. Flammen eines Holzstoßes. Es war befreiend, dem zuzusehen, weil er wußte, es waren seine Ängste, die da verbrannten.
    Dann war um ihn wieder der dunkle Raum, in dem er die Atemzüge der anderen Schläfer hörte. Er sah den dunklen Rahmen des Fensters. Die runde weiße Scheibe war draußen wieder hoch an den Himmel gerückt. Er versuchte, sich darüber klar zu werden, was da geschehen war. War das ein Traum gewesen? Er sprach noch einmal halblaut den Satz vor sich hin, den die

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