Madru
den Druiden. Sie hält große Stücke auf sie. Ich wurde von den Druiden vorgeladen. Ich glaube, wenn ich nicht die Tochter des Fürsten gewesen wäre, sie hätten mich auf den Scheiterhaufen geschickt.«
Aber weshalb denn?«
Sie hassen jeden, der ihrer Macht gefährlich werden kann. Jemand, der etwas weiß, etwas kann, was sie nicht können. Der Erzdruide äußerte sich zu meinem Fall. Er sagte, vor sehr langer Zeit, als das Diesseits noch nicht von der Anderswelt getrennt war, hätcn alle Irdischen die Sprache der Tiere verstanden. Aber diese Fähigkeit sei ihnen längst abhanden gekommen. Wer heute behaupte, er könne Wölfe oder eine Kröte reden hören, der sei ein Scharlatan oder verrückt.«
»Und wozu hat er sich in deinem Fall entschieden?«
»Er stellte mich auf die Probe. Ich sollte ihm übersetzen, was zwei Spatzen zwitscherten, die draußen auf dem Fensterbrett saßen. Tatsächlich hat der eine gerade zum anderen gesagt: ›Der Erzdruide ist der geborene Neidhammel.‹ Du kannst dir vorstellen, was passiert wäre, wenn ich ihm die Wahrheit gesagt hätte. Ich übersetzte statt dessen: ›Der Erzdruide ist ein brillanter Kopf.‹ Ich weiß, es war ziemlich dick aufgetragen. Aber ich bin nicht sehr geistesgegenwärtig. Er fuhr mich an, daß er ungewöhnlich klug sei, wisse doch schließlich jeder. Diesen Satz hätte ich mir gerade ausgedacht. Im übrigen sei ich eine notorische Lügnerin. Ich habe ihm darauf vorgeschlagen, er möge doch die Spatzen selbst fragen. Seither ist er nicht allzu gut auf mich zu sprechen.«
»Und deine Eltern. Was haben die dazu gesagt?«
»Ach, weißt du, mehr oder minder halten sie mich alle für verrückt. Wenn ich Mola nicht hätte, die mir von Zeit zu Zeit immer wieder mal gut zuredet, würde ich es wohl am Ende sogar noch selbst glauben.«
»Du bist nicht verrückt«, sagte Madru, »du bist so viel und so wenig verrückt wie ich es bin. Was du mir erzählt hast, klingt für mich völlig einleuchtend. Wenn einer den ›Weg des Waldes‹ geht, muht er sich ein Leben lang ab, mehr als das allzu Offenbare über Bäume, Pflanzen und Tiere herauszubekommen. Und du … du kannst es ohne jede Mühe. Du brauchst dich überhaupt nicht anzustrengen. Das ist doch großartig! Sei doch froh!«
»Ich meine immer: es macht den anderen Angst.«
»Mir jedenfalls nicht«, sagte Madru und lachte sie an. »Wie heißt du eigentlich? Da reden wir schon eine ganze Zeit miteinander und ich weiß noch nicht einmal deinen Namen. «
»Ich heiße Alissa. Und morgen werde ich deine Schwester.«
Er schwieg einen Augenblick und sah zu Boden, als ob er über etwas im Zweifel sei. Dann sagte er: »Ich will nicht, daß du meine Schwester wirst, Alissa.«
»Das Gesetz des Waldes schreibt es nun einmal so vor. Nichts dagegen zu machen.«
»Ich will es nicht.«
»Denk doch mal an Bru und Bri. Sie waren auch Geschwister.« »Wir sind keine Geschwister, und wir sind nicht Bru und Bri«, sagte er aufgebracht, »ich heiße Madru, und du heißt Alissa.« »Vielleicht änderst du das Gesetz, das vorschreibt, wir hätten Bruder und Schwester zu sein«, sagte sie.
»Ich weiß etwas viel Besseres«, sagte er lachend, »ich werde mich einfach nicht an dieses Gesetz halten. Ich werde tun, als ob es ein solches Gesetz nicht gäbe.«
»Das geht nicht. Das ist Frevel,« sagte sie ernst. »So etwas darf man nicht einmal denken. Es beschwört Unglück herauf.«
»Unsinn …!« rief er. »Das wollen wir doch sehen!«
Er machte einen Schritt auf sie zu, wollte sie festhalten, sie küssen. Sie wich ihm geschickt aus. Ihr Blick schien zu sagen: ich lasse mich doch nicht einfach von dir überrumpeln. Einen Augenblick sahen sie sich unverwandt an.
»Ich habe auch meinen Willen«, sagte sie stolz und dann vorsichtig: »Was denkst du jetzt? Ich möchte, daß du es aussprichst.« »Dasselbe wie du.«
»Bist du so sicher?« Ihr Mund zuckte spöttisch.
»Ja.« Er nickte.
»Ich habe mich in dich verliebt, Madru«, sagte sie.
»Ich mich auch in dich.«
»Und warum mußte ich es zuerst sagen?«
»Mädchen wissen in solchen Dingen besser Bescheid. Ich wußte gar nicht, was man da sagt.«
jetzt wehrte sie sich nicht mehr, als er sie küßte. Danach strich sie sich die Haarsträhne aus der Stirn.
»Nun mal im Ernst«, sagte sie, »da sind wir ja in etwas Schönes hineingeraten.«
»Möchtest du, daß wir wieder hinausgeraten?«
»Ich glaube nicht«, sagte sie ruhig und ihre Augen lachten, »nein, bestimmt nicht.
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