Madru
Den Mantel bei der Einsetzung wehen und den Fürsten den Segen spenden zu sehen: diesen Moment wollte sich keiner entgehen lassen.
Madru erkannte in der Gruppe von Männern, die dem Fürsten auf Schritt und Tritt folgten, auch Ase, der ihm aufmunternd zunickte. Madru war ihm dankbar dafür. Irgendwie verschreckte ihn dieses Zeremoniell. Es war, als werde nun endgültig und auf magische Weise ein Urteil über ihn gesprochen, dem er nie mehr entgehen konnte.
Der Fürst faßte ihn am Arm und führte ihn zu einer fülligen Matrone, die einen Kragen aus Goldblech trug und neben der rechts und links zwei jüngere Frauen standen.
»Dein Sohn von nun an«, sagte der Fürst zu der Frau mit dem Goldschmuck. Über ihr Gesicht lief ein falsches Lächeln. Eine Falte auf ihrer Stirn erschreckte Madru einen kurzen Augenblick, aber gleich war die Falte wieder verschwunden, das Gesicht war ausdruckslos wie zuvor. Die Frau kniete, wie der junge Druide vorhin, vor ihm nieder und küßte ihm die Hand. Nun traten die beiden ältesten Töchter des Fürsten, Arda und Hilde, heran und huldigten ihm auf gleiche Weise.
»Eines meiner Kinder fehlt«, sagte der Fürst entschuldigend, »die Jüngste. Sie heißt Alissa. Du wirst sie noch rasch genug kennenlernen, ein überspanntes Geschöpf. Du mußt die Fürstin und deine beiden Schwestern auf die Wange küssen. So ist es Sitte. Möchte wissen, wo sich Alissa herumtreibt.« Das klang mehr wie eine Entschuldigung gegenüber den Männern in seiner Begleitung, doch keiner von ihnen schien Alissas Abwesenheit große Bedeutung beizumessen. Am liebsten hätte Madru gesagt: Sie wird schon noch kommen. Ich bin sicher, daß sie noch kommt. Sie hat es mir versprochen. Aber er unterdrückte auch diese Bemerkung wieder und lächelte nur, was aber niemandem weiter auffiel, weil jeder auf etwas viel Wichtigeres wartete.
Der Fürst hob Schwert und Tanne.
»Laßt uns hören, ob uns der Wald gnädig ist.«
Er schritt voran. Madru hielt sich hinter ihm. In der Halle kamen sie an einem Wäldchen von Tannen verschiedenen Alters vorbei. Madru erinnerte sich, davon gehört zu haben, daß der Segensbaum, den der Fürst trug, später wieder eingepflanzt würde. Je nachdem, ob er anwuchs oder verdorrte, war dies ein gutes oder ein schlechtes Zeichen. Sie kamen an dem versteinerten Baumstamm mit den beiden Inschriften vorbei, aber es war keine Zeit, ihn näher zu betrachten. Der Fürst blieb vor den Stämmen der Pappel und der Erle stehen, den beiden Bäumen, die durch das Dach gewachsen waren. Jemand schaffte Platz und deutete Madru an, er möge neben den Fürsten treten.
Madru spürte, daß ein Zeremoniell von großer Wichtigkeit bevorstand. Die Menschen in der Halle schienen den Atem anzuhalten.
Der Fürst zog sein Schwert und schlug leicht gegen den Stamm der Pappel. Es gab einen voll tönenden Klang, dem ein leises, morsches Knacken folgte. Das schien jedoch kein schlechtes Zeichen zu sein, denn Freudenrufe waren zu hören. Die Menschen fielen einander um den Hals, und wenn sie nicht so vertraut miteinander waren, schüttelten sie sich freudig, einander beglückwünschend, die Hände. Der Ruf pflanzte sich fort: »Der Wald ist auf unserer Seite. Das Unglück ist noch fern. Dank sei Bri. Es lebe der Große Wald.«
Einen Augenblick schien der Fürst unschlüssig, ob da nicht vielleicht doch etwas Bedrohliches zu hören gewesen sei. Madru, der ihn beobachtet hatte, schien es, als sinne er über etwas nach. Er sah auch, wie ihm der Schweiß in kleinen Bächen über das Gesicht lief. Dann entspannte sich sein Gesicht. Er wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn und strahlte.
»Man weiß nie .. .«, sagte er verlegen lachend zu Madru, »einmal werden wir den Todesschrei hören.« Aber laut rief er aus: »Ihr habt es alle gehört, Leute. Der Wald ist auf unserer Seite. Wir müssen nichts fürchten. Wir wollen essen und trinken und es uns wohl sein lassen.«
Ein Mann bist du, überlegte Madru, der das Wohlsein liebt, und das ist ja vielleicht nicht das Schlechteste für dein Reich.
Sie schritten durch die Halle zu einem Podest, auf dem für den Fürsten, seine Familie und den Hofstaat eine Tafel gerichtet war. Der Tisch war mit einem grauen Leinentuch gedeckt. An allen Plätzen standen silberne Teller und reich mit Edelsteinen verzierte Pokale. Es gab breite bequeme Stühle,. mit Fellen ausgelegt. In der Halle, deren Dachstuhl aus mächtigen Tannenbalken bestand, ließen sich die Freisassen an langen
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