Madru
nicht, sondern beobachte nur. Das fiel ihm nicht leicht. Er sprach gern mit anderen Menschen, stellte gern Fragen. Jener Augenblick, als er mit seiner Mutter gesprochen und sich, einem Instinkt folgend, gegen dieses Amt aufgelehnt hatte, fiel ihm wieder ein. Etwas von diesem Mißtrauen und dieser Aufsässigkeit hatte sich in ihm erhalten. Er gehörte nicht zu den Vornehmen, auch nicht zu diesen blassen Mönchen, die von sich meinten, alles zu wissen. Aber wenn du nicht Sternensohn geworden wärest, sagte er sich, hättest du nicht Ase getroffen, du hättest nichts von den drei Wegen gehört, hättest nicht über den Bannwald aus der Höhe hinblicken können. Vor allem aber wärst du Alissa nicht begegnet. Der Gedanke an das Mädchen stimmte ihn froh. Ja, dachte er, du bist wieder verliebt. Merkwürdig, wie groß das Vertrauen ist, daß du in sie setzt. Mit welcher Selbstverständlichkeit sie dir vertraut hat und du ihr! Du hast doch erst einmal mit ihr gesprochen. Und es war gleich so, als würdet ihr euch schon lange kennen. Es ist ganz anders als bei Eigar. Du bist sicher, daß Alissa dich auch liebt. Sie hat es ja gesagt, aber du willst es wieder und wieder hören. Da dankte er der Möndin, daß sie alles so gut gefügt habe und bat sie, Alissa und ihn zu beschützen und über ihrer Liebe zu wachen.
Der Bote kam, und sie brachen endlich zur Großen Halle auf. Die Straßen der Fürstensiedlung waren menschenleer. Alle Bewohner hatten sich auf der Festwiese vor der Großen Halle versammelt. Dort waren die Druiden dabei, von fünf Wagen herab Dörrfleisch, getrocknete Beeren, Pilze und wohlriechende Kräuter zu verteilen. Ursprünglich war die sogenannte »Ohmengabe« für alle Einwohner der Fürstensiedlung bestimmt gewesen. Aber die Freisassen dünkten sich neuerdings zu fein, sich um dererlei zu drängeln und anzustellen. Sie überließen es den Sklaven, sich diese Geschenke zu holen. Alle Leute in der Fürstensiedlung, ob nun Freisassen oder Sklaven, kamen Madru wohlhabender vor als die Bewohner der Gehöfte jener Gegend, in der er aufgewachsen war. Hier trugen die Frauen Goldringe und auch die Männer Ringe mit großen Steinen. Dergleichen hatte er daheim nie gesehen. Keiner der Männer war bewaffnet. Keiner kam der Gruppe der Druiden zu nahe, in deren Mitte Madru ging. Wo viele Menschen standen, machten diese ehrfurchtsvoll Platz, und Männer wie Frauen grüßten sie, indem sie ihren Kopf über die aneinandergelegten Handflächen neigten.
Noch etwas erregte Madrus Aufmerksamkeit, als sie sich jetzt der Großen Halle, einem Bauwerk das ganz und gar aus Holz bestand, näherten. Schon aus der Ferne waren ihm die beiden Bäume aufgefallen, deren Stämme durch das schindelbelegte Dach wuchsen. Es waren eine Pappel und eine Erle, deren mit Blättern begrünte Äste wie zwei riesige Standarten vom Wind bewegt wurden.
Erst wollte er seine Begleiter bitten, ihm Genaueres über die beiden Bäume zu berichten, aber dann erinnerte er sich an den Rat, den ihm dieser Druidenmönch gegeben hatte und er unterließ es. Er wußte, daß die Pappel Bri, dem Fürsten über das Diesseits und den Großen Wald, heilig war und daß die Erle der Baum Brus war, von der man sagte, sie herrsche über die Wesen der Anderswelt. Sie hatten nun das Osttor erreicht, dessen beide Flügel weit offen standen. Dort wartete der Fürst des Waldes mit seiner Familie und seinem Gefolge auf das glückliche Eintreffen des Sternensohns. Der Fürst war ein gedrungener, kräftiger Mann mit einem grauen Knebelbart und melancholischen Augen. Er trug einen weiten grünen Umhang, der vorn von einer Brosche zusammengehalten wurde, die einen Mann auf einem Streitwagen abbildete. In der rechten Hand hielt er einen geradegewachsenen Tannenbaum, bei dem nur in der Mitte des Stammes ein paar Äste herausgeschlagen worden waren, damit man ihn besser fassen konnte. Der Baum besaß aber noch all seine Wurzeln, die man allerdings säuberlich vom Erdreich befreit hatte.
»Willkommen, mein Sohn«, sagte der Fürst. Seine Stimme klang nicht sehr energisch.
Der Fürst umarmte Madru und legte ihm dabei mit einer weitaus-holenden Bewegung die eine Hälfte seines grünen Umhangs um. Dann trat er zurück, zog sein Schwert und berührte mit der flachen Klinge Madrus linke und mit der Spitze der Tanne Madrus rechte Schulter. Ein Jubelgeschrei brach los, das wie eine davon-flutende Welle sich auch auf der Festwiese draußen fortsetzte. Von überall drängten Menschen heran.
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