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Madru

Madru

Titel: Madru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Hetmann
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vorhergesagt werde, sei nur in der Anderswelt. Müßten die Menschen den Großen Wald verlassen und in die Anderswelt auswandern, so gelte es zunächst einmal, den Weg dorthin zu finden. In alten brusinischen Texten gebe es immerhin Hinweise auf jene Stellen, an denen es sich zu suchen lohne. Sei man erst einmal drüben an-gelangt, dann müsse man sich schließlich auch mit den Wesen der Anderswelt verständigen. Vor allem zu diesem Zweck lerne man Brusinisch. Wer diese Sprache beherrsche, dürfe sich einer besonderen Heiligkeit rühmen. Er trage mit seinen Kenntnissen dazu bei, die Menschheit vor dem Untergang zu retten.
    »Mit anderen Worten … wenn wir brav und fleißig lernen, werden wir am Ende in der Lage sein, uns mit Zwergen über das Wetter zu unterhalten«, rief ein Junge, von dem Madru später hörte, er komme aus den Gebirgen des Westens und heiße Padur.
    Guh gab einen zischenden Laut von sich. Dann ging er dazu über, ihnen zu erklären, was ein Grundzeichen ist und weshalb es gleich in vierfacher Ausprägung vorkomme. »Tja«, fuhr er fort und rieb sich dabei die Hände, »ich kann es nicht ändern. Ich habe diese Sprache nicht erfunden. Dummköpfe und Faulenzer pflegen bei meinem Unterricht auf der Strecke zu bleiben. Ich empfinde auch nicht das geringste Bedauern für sie.«
    Damit leitete er die Erklärung ein, daß es eigentlich drei Sprachen zu lernen gelte. Das Brusinische kenne nämlich eine Sommer-, eine Winter- und eine Frühlingssprache, was so erstaunlich nicht sei, wenn man daran denke, daß alle Dinge der Natur sich in den drei Jahreszeiten doch auch höchst verschieden darstellten, und selbst die Empfindungen und Stimmungen der Menschen mit den Jahreszeiten wechselten. Die drei Jahreszeiten wiederum seien die Wandlungszustände der dreigesichtigen Göttin, der Möndin.
    Durch Abstraktion seien aus den jeweiligen jahreszeitlichen Bildern der wichtigsten Bäume eben jene Schriftzeichen entstanden, wie sie sie auf dem Relief abgebildet sähen.
    Ein Scholar meldete sich und fragte, woher man eigentlich mit Bestimmtheit wisse, daß man mit dem Brusinischen Schrift und Sprache der Anderswelt vor sich habe.
    Auf die Frage habe er schon gewartet, sagte Guh. Es vergehe keine erste Lektion, in der sie ihm nicht gestellt werde. Eigentlich sei es eine blasphemische Frage. Er wolle sie dennoch beantworten. Man habe in der Tat eben dafür keine Beweise. Andererseits müsse es jedem zudenken geben, daß bis auf diesen Tag Menschen immer wieder es für wert befunden hätten, die Anstrengung des Studiums dieser Sprache auf sich zu nehmen, obwohl kein sofortiger Gebrauchswert mit ihr verbunden sei. Die Sprache erinnere zudem auch daran, wie wichtig für die Menschen die Bäume seien, denn aus stilisierten Baumbildern sei die Sprache bzw. ihre Zeichen ja entstanden. Sie verweise dorthin, wo die Bäume wurzelten. Diese Sprache und der Glaube an die Anderswelt, ihre Herrscherin Bru und all ihre Einwohner seien untrennbar miteinander verbunden. Und wem die Vorstellung von der Anderswelt nicht einleuchte, der solle sich nur gleich melden. Er brauche keine Strafe zu fürchten. Er werde dann lediglich auf der Stelle das Haus der Lehren verlassen müssen und sein restliches Leben in Unwissenheit verbringen.
    Niemand meldete sich. Guh warf einen triumphierenden Blick in die Runde. Man brauche aber, fuhr er fort, im Zusammenhang mit dem Brusinischen nun nicht immer an die Große Katastrophe zu denken, von der niemand wisse, wann sie kommen werde. Einigen wenigen hervorragend Begabten gelinge es - dank der an dieser Sprache geschulten Sensibilität ihrer Vorstellungskraft -schon zu Lebzeiten, die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits zu überwinden.
    Er riet ihnen dann noch, mit besonderem Eifer dem Unterricht seines jüngeren Kollegen Jammes zu folgen. Dieser werde sie in die Lehre von der Bedeutung der Bilder einführen und sie in der Druidischen Meditationstechnik unterrichten.
    Damit war die erste Unterrichtsstunde vorüber.
    Der Erzdruide war Madru nicht sympathischer geworden, aber das Thema, von dem da die Rede gewesen war, die Anderswelt, interessierte ihn sehr. Da war etwas Geheimnisvolles, etwas verlockend-grundsätzlich Anderes, und dies zog ihn jetzt mindestens
    120 ebenso stark an wie das, was ihm Ase über den Weg des Waldes auf der Reise in die Fürstensiedlung erzählt hatte. Also lernte Madru mit größtem Eifer die endlosen Wortlisten, die ihnen Guh in den folgenden Lektionen diktierte. Er ritzte

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