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Madru

Madru

Titel: Madru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Hetmann
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verlangt wurde.
    An die Bibliothek schloß sich der Trakt mit den Einzelzellen an. sie enthielten nichts außer einem Kleiderkasten, einem Tisch, einem Stuhl und einem Strohsack mit zwei Schaffellen. Unterrichtssaal, Speisesaal und Bibliothek wurden im Winter mit Kaminfeuern beheizt, zu denen die Scholaren das Holz selbst einschlagen, zerkleinern und herantragen mußten, während die vielen Kerzen, mit denen man die Räume beleuchtete, aus der Kerzenzieherei des Fürstengehöfts geliefert wurden. Soviel Kerzen verbrauchen zu dürfen wie man wollte, schien manchem Scholaren, der von daheim in diesem Punkt strikte Sparsamkeit gewohnt war, schon allein ein kleines Wunder. Es gab denn auch im Volk ein Wort, das für Druiden und Scholaren gleichermaßen verwendet wurde. Man nannte sie: jene, die die vielen Kerzen verbrauchen.
    In Norrland kann sich der Winter bis Ende April hinziehen. So waren Herbst und Winter bedrückende Jahreszeiten, denen die meisten Menschen jener weit zurückliegenden Epoche immer mit Furcht entgegensahen. Es war die Zeit der durch Düsternis, Kälte und Schneemassen erzwungenen Untätigkeit, des Eingesperrt-seins in eine nicht immer bequeme Häuslichkeit. Es war die Zeit des Sterbens, denn hinfällige alte Menschen und durch Krankheit Geschwächte überlebten diese Zeit der strengen Kälte und Lichtarmut nur selten. Die Dunkelheit setzte dann im Winter schon gegen drei Uhr am Nachmittag ein und morgens hellte sich der Himmel nicht vor neun Uhr auf. So begreift man, daß für Norrländer Kerzen besonderen Wert besaßen. Ja, sie erzählten sich, die Kerzen seien ein Geschenk von Bru. Als ihr Bruder sie zum ersten Mal in der Anderswelt besuchte, habe er ihr Gemach von hunderten brennender Kerzen erhellt gefunden. So erinnerte Kerzenschein in Norrland die Menschen immer auch an die Liebe der Götter. Als Madru an jenem Morgen den großen Saal im Haus der Lehren betrat, waren die übrigen elf Scholaren dieses Kurses schon auf ihren Plätzen. Sie hatten im Saal mit weitem Abstand voneinander Aufstellung genommen. Das Kreuz durchgedrückt, die Arme vor der Brust verschränkt, vor sich ein Bündel mit ihrer wenigen persönlichen Habe, so standen die Scholaren regungslos da. Der Abstand voneinander wies auf ein Erziehungsprinzip hin. Freundschaften oder engere Kontakte zwischen den Scholaren waren unerwünscht. Wer entschlossen war, einmal Gouverneur eines Bezirkes zu werden, wer vorher Steuern und Abgaben einzufordern hatte, der sollte von Anfang an lernen, Abstand von anderen zu halten und auf sich allein gestellt zu leben.
    Was die wenigen persönlichen Habseligkeiten anging, welche die verknoteten Bündel enthielten, so drückte sich hier ein anderes Ideal aus: es galt als Tugend, mit möglichst wenig persönlichem Besitz auszukommen. Einen Schwamm, eine grobe Seife, ein paar Zweige eines bestimmten Strauches, die als Zahnbürste dienten, die Kleider, die er auf dem Leib trug, einmal Unterzeug zum Wechseln, zwei Hemden und eine Jacke, ein Messer, ein Feuerzeug und eine Fischschnur – mehr sollte ein Scholar nicht besitzen.
    Madru kam als letzter herein. Er ging durch die Reihen bis zu dem Platz, der offenbar für ihn freigelassen worden war. Die jungen Burschen, die rechts und links von ihm standen und denen er ins Gesicht sah, verzogen keine Miene noch beantworteten sie seinen Gruß. Er zuckte die Achseln und stellte sich an seinen Platz, legte das Bündel vor sich hin.
    Nachdem sie etwa eine Stunde stumm und regungslos dagestanden hatten, erschien Guh. Der Erzdruide sagte zuerst kein Wort. Er lief durch die Reihen, er musterte jeden einzelnen von Kopf bis Fuß. Als die Inspektion beendet war, ging er nach vorn und sagte, sie könnten sich jetzt setzen.
    Es fiel Madru nicht leicht, sich auf der dünnen Schilfmatte mit untergeschlagenen Beinen so hinzuhocken, daß er gerade und zugleich bequem saß, zumal ihm niemand dazu einen Rat gab.
    Er sei ihr Lehrer in Brusinisch, sagte Guh. Seine Stimme klang, als habe er eine verstopfte Nase. Manchmal spielten seine Finger mit den langen Strähnen des dünnen schwarzen Schnurrbartes. Gewiß werde sich der eine oder andere unter ihnen schon gefragt haben, warum er eine tote Sprache lernen solle, eine Sprache, die außer ein paar hundert Mönchen niemand auf dieser Welt spreche. Nun, sie sollten sich klar machen, daß die hiesige Welt letztlich unwichtig sei. Hoffnung, Zukunft, Zuflucht im Fall der bewußten Katastrophe, wie sie in dem Spruch auf dem Stein

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