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Madru

Madru

Titel: Madru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Hetmann
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nicht einzuschlafen. Er durchwachte eine Nacht. Am Nachmittag des zweiten Tages besuchte ihn Jammes in seiner Zelle. Zuerst freute sich Madru, weil er meinte, er habe durch seine rigorose Anstrengung den bewunderten Lehrer zu einer Geste der Anteilnahme veranlaßt.
    Jammes sagte: »Du solltest morgen wieder am Unterricht teilnehmen.«
    »Ist das alles, was Ihr mir zu sagen habt?« fragte Madru wütend. Er sei auch gekommen, um sich zu verabschieden, erwiderte Jammes.
    Madru meinte, falsch gehört zu haben. »Ihr geht fort?« fragte er ungläubig. »Was für ein öder Ort wird das Haus der Lehren ohne Euch sein«, sagte Madru schwärmerisch.
    »Solange man noch etwas lernen kann, ist es nirgendwo öde.« »Seid Ihr eigentlich immer nur klug und überlegen?« fragte Madru grimmig.
    »Entschuldige bitte«, erwiderte Jammes, »aber ich meine, was ich sage.«
    »Klingt verdammt hochgestochen.«
    »Ob es für dich zutrifft, mußt du selbst entscheiden.« »Ich bin festgefahren beim Meditieren.«
    »Das wird noch öfter vorkommen«, meinte Jammes ungerührt. »Warum muß man nur all die Irrwege gehen? Die reinste Zeitverschwendung. «
    »Welche Belehrung …!«
    »Macht Ihr Euch über mich lustig?« fragte Madru mißtrauisch. »Ganz und gar nicht. Sicher zu sein, daß man auf dem falschen Weg ist, kann doch wirklich eine große Errungenschaft bedeu-ten.«
    »Erklärt mir das bitte genauer.«
    »Nun … habt ihr Guh einmal gefragt, was seiner Meinung nach hinter der Anderswelt kommt?«
    »Merkwürdige Frage.«
    »Wieso? Nur folgerichtig. Man fragt, bis es nicht mehr weitergeht.«
    »Ja.«
    »Stell ihm einmal diese Frage. Er wird dir antworten, eine solche
    Frage sei nicht erlaubt. Eine Ketzerfrage sei das, wird er dich anzischen. Und was sagst du dazu?«
    »Ich würde meinen … wenn man nachdenkt und fragt, ist alles erlaubt. Ihr habt uns immer eingeschärft, man müsse scharf trennen zwischen dem, was wir sehen, beobachten, mit einem Experiment beweisen können und Spekulationen … dem, was darüber hinaus sein könnte. «
    »Richtig … vergiß nie, das genau auseinanderzuhalten«, sagte Jammes, »aber jetzt wollen wir mal einen anderen Weg einschlagen. Du versuchst ständig, die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Menschenwelt und Anderswelt in Gedanken zu überwinden. Du bist zornig, daß du es nicht schaffst. Wenn du dich weiter anstrengst, wenn du auch noch lernst, dich dabei nicht zu verkrampfen, sondern Willenskraft und Imagination gelockert einzusetzen, wird es dir eines Tages gelingen. Aber du wirst enttäuscht sein von dem, was du drüben vorfindest … diese vielgerühmte Anderswelt … sie ist die Rumpelkammer unseres Bewußtseins. Sie enthält die Relikte unseres Zustandes als Naturwesen, die wir längst nicht mehr sind. Wie ich dich kenne, wirst du weiterwandern, und am Ende wirst du vor einer noch höheren und stärkeren Mauer stehen. Bis zum Himmel wird sie den Raum verschließen. Hinter sie gilt es vorzudringen.«
    »Ins Reich des Bösen – ins Totenreich, meint Ihr die? Denn die liegen doch dort.«
    »Nein, weder ins Totenreich noch ins Reich des Bösen. Beide sind ja, wenn du in den Kategorien der Druiden denkst, Teil der Anderswelt. Was lehren sie über das Totenreich? In ihm stehe jenseits des Bitteren Flusses angeblich der Palast der Totenrichter, die darüber entscheiden, ob der Gestorbene wiedergeboren wird, in welcher Gestalt, oder ob er endgültig Erlösung findet.« »Wie hat man sich das vorzustellen? Was ist hinter der höchsten und letzten Mauer?«
    »Zwei Fragen auf einmal«, antwortete Jammes, »aber in diesem Fall zielen sie auf ein und dasselbe. Laß mich mit meiner Erklärung an einem anderen Punkt ansetzen: Diese Anderswelt, die Guh so wichtig nimmt, die wir, wenn es nach den Druiden ginge, alle so wichtig nehmen sollen, weil ihnen das Macht gibt über uns, ist nichts anderes als das Schattenreich unserer irdischen Erinnerungen und Wünsche. Was hier an Erinnerungen an die Frühzeit der Menschheit, an Verlangen, an Einbildungen in uns aufsteigt, wirft einen Schatten und im Irgendwo entstehen Bilder daraus. Diese Bilder haben Lebendigkeit. Sie sind verlockend. Und jetzt sind wir an dem entscheidenden Punkt. Der einzig vernünftige Wunsch des Menschen ist der Wunsch nach Erlösung vön seinem Leid … vernünftig nenne ich ihn, weil sich in ihm der Mensch in Übereinstimmung mit dem Gesetz des Kosmos befindet. Erlösung aber finden wir nicht, solange unser Verlangen an

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