Madru
sehen, warf Madru ein. »Zugegeben«, sagte Bator und dämpfte seine sonst eher dröhnende Stimme zu einem heiseren Flüstern, »es ging um die Macht über die Seelen der Menschen. Hätte ich zulassen sollen, daß es bald auch noch einen vierten Weg gibt? Als ob wir nicht schon mit drei Wegen genügend Schwierigkeiten hätten!«
Er finde es empörend und unerträglich, daß Jammes hingerichtet worden sei, bekannte Madru.
Die Jugend wisse immer viel genauer als irgendein Alter, wie die Welt zu verbessern wäre, erwiderte Bator achselzuckend, merkwürdig nur, daß ihr Zustand dann bis auf den heutigen Tag doch ein recht unvollkommener sei. Um auf den Weg der Ritter zurückzukommen, zu dem er ihm ja noch eine Unterweisung schulde, da seien zunächst einmal jene fünf Tugenden oder Gebote, denen gemäß jeder, der den Weg der Ritter gehe, sich zu leben verpflichte, damit das Gewicht des Guten auf den Waagschalen schwerer wiege als das Gewicht des Bösen. Ein Ritter habe den Großen Wald zu ehren und zu schützen. Ergo: er habe für das Wohlergehen der Menschen, Tiere und Bäume Sorge zu tragen. Er müsse der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen, gleichgültig, wer es sei, der da sein Recht suche. Er müsse denen, die sich unter seinen Schutz stellten, Obdach und Beistand gewähren, sie speisen, beherbergen und kleiden, den eigenen Mantel mit ihnen teilen, wie es wörtlich in der »Urkunde vom Anfang des Weges der Ritter« heiße. Er sei auch verpflichtet, gegen die vielköpfige Schlange von Unfreiheit, Machtgier und Eifersucht anzukämpfen, wo immer sie eines ihrer Häupter erhebe … tapfer und mit aller Kraft.
Ein recht anspruchsvolles Programm sei das, wenn man damit ernst machen wolle, stellte Madru fest. Bator machte eine beschwichtigende Geste.
»Auch dabei wird nicht alles so heiß gegessen wie es gekocht worden ist«, sagte er, »niemand erwartet, daß du dich vierteilen, rädern oder verbrennen läßt.«
136 Das ergebe sich nämlich aus der fünften und letzten der ritterlichen Tugenden, der Mäßigung. Madru hielt vergebens nach einer besonderen Begabung für Mäßigung bei sich Ausschau. Abgesehen davon, mißfiel ihm Bators Hinweis, man brauche das alles nicht so ernst zu nehmen. Unbedingte Forderungen hätten ihm mehr imponiert.
»Ich weiß wirklich nicht«, sagte Madru nach einem tiefen Seufzer, »wie ich mich entscheiden soll. Manchmal denke ich, ich sollte alle drei Wege gehen, oder auch keinen.«
»Ach, so steht es«, rief der Fürst aus, sichtlich erleichtert darüber, daß sich etwas ergab, womit er die Sache von sich schieben konnte, »ja, dann … dann mußt du ein Bilderspiel haben, das du befragen kannst.«
Das treffe sich gut, fuhr er fort. Er habe von seinem Jagdzug einen Sklaven mitgebracht. Kolwey heiße der Mann und gelte als einer der besten Karten- und Schildermaler von ganz Norrland. Er gehöre einem Jarl, der zwanzig Meilen von hier gegen Mitternacht hin wohne. Ehe das Fest der Wintersonne komme, solle Kolwey die Wappenbilder auf den Stühlen des Hofstaates in der Großen Halle auffrischen. Gewiß werde ihm auch noch genug Zeit bleiben, um ein Bilderspiel anzufertigen, ehe er wieder zu seinem Herrn zurück müsse. Madru solle nur gleich zu ihm gehen und ihm den Auftrag im Namen des Fürsten überbringen.
Madru traf diesen Kolwey in der Werkstatt hinter der Scheune des Fürstenhofes. Er war einer aus dem alten Volk, hatte schrägstehende Augen und eine Haut fahl wie Pergament. Von Statur reichte er Madru gerade bis zum Gürtel. Madru ging in der Werkstatt umher und schaute sich neugierig um, während er auf jene Fragen antwortete, die ein Bildermacher stellt, ehe er sich an die Arbeit macht. Bei aller Gleichheit der Bilder soll jedes Spiel verschieden werden, da ja auch kein Mensch dem anderen gleicht. Auf einem Tisch lagen Pinsel, Schnitzmesser und Stichel, standen Farbnäpfe, aus denen die Farben leuchteten wie von Blättern im Herbst nach den ersten Frösten, wenn noch einmal Sonne auf sie fällt. Darüber hing an einer Lederschnur von einem hölzernen Nagel etwas herab – ein Medaillon aus Walroßzahn. Ins Oval eingeschnitzt zwei Bäume, deren Äste sich miteinander verschränkten. Gegen die beiden Stämme aber sprang von rechts und links ein Wolf an. Die Tiere reckten sich, schnappten hechelnd und gierig nach etwas, das sich oben im Geäst versteckt zu halten schien. Das Schmuckstück stach Madru in die Augen. Ich könnte es, überlegte er, Alissa zum Fest der Wintersonne
Weitere Kostenlose Bücher