Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madru

Madru

Titel: Madru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Hetmann
Vom Netzwerk:
Richterin, sich aus einer Weißdornhecke aufrichtend, und Frau Welt mit einem Apfel in der Hand abgebildet waren.
    Nachdem er seine Karten betrachtet und sich die Aura ihrer Bedeutungen ins Gedächtnis gerufen hatte, bildete er Reihen mit den geraden und den ungeraden Zahlen. Er kombinierte die einander entsprechenden Karten aus der äußeren und der inneren Welt, um schließlich die verschiedenen Orakel zu üben, bei denen mal sieben, mal neun und bei dem komplizierten »Wege«-Orakel alle zweiundzwanzig Karten benutzt wurden.
    Über solchen Übungen vergingen ein ganzer Tag und eine Nacht ohne Schlaf. Am zweiten Tag versuchte Madru mit Hilfe des Spieles Geschichten zu erfinden. Dabei ging er so vor: Er deckte eine Karte auf. Das Bild ließ ihn an ein Ereignis denken, mit dem die Geschichte ihren Anfang nahm. Er wählte eine zweite Karte, und dies Bild gab einen Anhaltspunkt, wie sich die Handlung weiterspinnen ließ.
    Bei all dem geschah genau das, was sich beim Umgang mit dem Bilderspiel, das später auch unter dem Namen »Baumtarot« bekannt wurde, ereignen soll. Madru wurde mit dem Spiel eng vertraut. Es wurde gewissermaßen zu einem Teil seiner Selbst. Die Bilder des Spiels drangen tiefer und tiefer in ihn, bis sie in jenen Bereich gelangten, wo unsere Träume liegen, die nur darauf warten, daß im Schlaf die Tür aufspringt und sie nun mit Rauch und Nebel hervorwehen können. Wo aber die Bilder der Karten in den Träumen Madrus auf ihr Spiegelbild stießen, leuchtete dieses auf. Indem Madru so mit den Karten umging, näherte er sich, so könnte man sagen, spielerisch dem Wesen seiner Identität.
    Am Abend des zweiten Tages rief Madru Padur in seine Zelle, weil er das Bedürfnis hatte, mit jemandem über die Erregung, in die er durch das Spiel geraten war, zu sprechen.
    Der Freund bestätigte ihm, was er schon spürte, daß Kolwey beim Malen der Karten ganz ausgezeichnete Arbeit geleistet hatte. Bei all dem dachte Madru auch nicht ein einziges Mal an das Versprechen, das er dem Sklaven gegeben hatte.
    Da sah ihn nach langer Zeit die Möndin im Schlaf wieder einmal an. Sie sprach zu ihm: »Hörst du mich, Madru? Ich betrachtete dich und fand, ich müsse dich auf etwas aufmerksam machen. Du wirst demnächst meiner Tochter Bru begegnen. Es würde einem, den sie zu ihrem Ritter wählen will, schlecht anstehen, wenn er mit einem Rostfleck auf der Stirn vor ihr stünde, wie ich ihn jetzt bei dir sehe. Weiß auch nicht, wie dieser Fleck auf deine Stirn ge-kommen sein mag. Wenn du dich in Wasser, Eis oder Glas spiegelst, wirst du ihn selbst nicht einmal sehen und andere Sterbliche werden ihn erst recht nicht entdecken. Bru aber und ich … wir sehen ihn sehr wohl.«
    Gleich darauf wurde Madru wach. Er richtete sich auf und schaute zum Fenster. Draußen war Vollmond. Er stand auf und sah hinauf zu dem Gestirn. Nichts war mehr zu sehen von dem Gesicht. Was dort oben stand, war eine weiße Scheibe mit grauen Schatten auf ihrer Oberfläche. Aber er wußte, was er zu tun hatte. Er kleidete sich an und ging durch die helle Nacht zum Fürstengehöft hinüber. Es war klar und sehr kalt. Der Schnee knarrte.
    Vor dem Portal hielt ein Doppelposten der Miliz Wache. Er hieß die beiden Männer, den Fürsten aufwecken und hielt ihnen, um seinem Befehl Nachdruck zu verleihen, den schwarzen Stab hin. Er traf mit Bator in dem leeren Audienzsaal zusammen. Auch dort schien der Mond herein. Bator hatte einen Schlafrock aus Zobelfellen übergeworfen, darunter sah ein langes Hemd hervor. Hinter ihm tappte schlaftrunken ein Diener mit einer Kerze. Bator ließ ihn einen Leuchter anzünden und schickte ihn dann fort.
    Madru kam gleich zur Sache. Er müsse mit ihm über Kolwey sprechen, begann Madru.
    Wie denn? Was denn? fragte der Fürst mißmutig gähnend. Ob der Sklave einen Aufstand angezettelt habe. Ob der Kerl etwas habe mitgehen lassen? Oder warum, zum Kuckuck, ihn Madru sonst mitten in der Nacht aus dem Bett hole? Madru hörte, daß Kolwey zurückgeschickt worden war zu seinem Herrn. Das Bilderspiel habe er doch hoffentlich abgeliefert, erkundigte sich Bator.
    »Er hat mir ein wunderbares Bilderspiel gemalt«, sagte Madru. »Ich wußte nicht, daß er schon fort ist. Ich habe mich nicht einmal bei ihm bedankt.«
    »Pah«, sagte Bator mit einer abschätzigen Handbewegung, »ein Sklave tut seine Arbeit. Da braucht's keinen Dank. Er kann zufrieden sein, wenn seine Arbeit Schläge von ihm abwendet.«
    Die Verächtlichkeit, mit der Bator von

Weitere Kostenlose Bücher