Madru
denen die Wälder bunt gewesen waren, setzte der erste langanhaltende Schneefall ein. Das Land wurde in ein Stille verbreitendes Weiß getaucht. Alle Dinge wirkten plötzlich anders. Die Jahreszeit hatte eine gewisse Feierlichkeit, aber es kamen mit ihr auch Ängste, die in der langen Dunkelheit verborgen saßen.
In den Stunden bei Ase bauten sie Rennschlitten für den Rodelwettbewerb, der traditionsgemäß beim Fest der Wintersonne abgehalten wurde. Madru und Padur bauten gemeinsam an einem Schlitten und trainierten, als sie dann fertig waren, auch zusammen.
Madru entdeckte die Lust an der Geschwindigkeit. Manchmal bei schnellen Fahrten hatte er das Gefühl, schwerelos zu sein. Er fuhr auf dem Platz des Bremsers, weil er so die Geschwindigkeit bestimmen konnte.
Einmal sagte Padur zu ihm: »Hör mal, Madru, willst du eigentlich per Schlitten in die Anderswelt?«
Madru schaute ihn an wie jemand, der sich bei seinen geheimen Wünschen ertappt sieht. »Woher weißt du?«
»Das Tempo, das wir gefahren sind, war wahnwitzig. Das Risiko ist dabei einfach zu hoch. Wenn der Sternensohn nichts dagegen hat, würde ich eigentlich gern noch ein bißchen leben. «
»Aber stell dir doch einmal vor«, sagte Madru, »wir würden auf diese Weise plötzlich hinter die Mauer gelangen, die die beiden Welten voneinander trennt und zusammen Abenteuer erleben.« »Du der Ritter und ich der Knappe natürlich!«
»Ja. «
»Eben«, sagte Padur lachend, »das könnte dir so passen, mein Lieber. Nein. So haben wir nicht gewettet. In Zukunft fahre ich als Bremser, oder du mußt dir jemand anderen suchen.«
Madru hatte nichts dagegen, daß sie beim nächsten Trainingslauf die Plätze wechselten. Er gestand sich ein, daß er Padur mochte, obwohl sie doch so verschieden waren. Padur war nüchtern, loyal und praktisch. Padur sah darüber hinweg, daß Madru Sternensohn war. Er nahm kein Blatt vor den Mund und hatte eine Unabhängigkeit, die Madru imponierte. Manchmal erzählten sie einander ihre Träume.
»Du bist noch in dem, was du träumst, vernünftig«, sagte Madru spöttisch.
»Und du fängst schon wieder an, Hirngespinsten nachzujagen. Du bekommst dann so einen abwesenden Blick«, gab Padur zurück, ich würde meinen, es sei höchste Zeit, daß du wieder einmal in die Scheune mitkommst.«
Ich weiß nicht«, murrte Madru, »die Kleine, die ich mir da angelacht habe … sie ist ganz nett. Aber neuerdings duftet sie nach versengten Schweineborsten. «
»Was willst du«, sagte Padur, »in der ganzen Fürstensiedlung wird jetzt geschlachtet. Versengte Schweineborsten oder Jauche! Mich stört das nicht. Das ist doch gerade das Großartige, daß man beim Vögeln alles vergißt.«
»Ich vergesse eben nicht«, sagte Madru.
»Wirklich?«
»Ja … es ist immer, als sähe ich mir selbst dabei zu. Ist es das, was man pervers nennt?«
Padur schüttelte welterfahren den Kopf. »Unsinn«, sagte er, »wahrscheinlich brauchst du eben nicht Sex, sondern Liebe.« Kurz nachdem sie dieses Gespräch geführt hatten, hörte Madru, daß Bator von seinem Jagdzug zurückgekommen sei. Er ließ sich bei ihm melden. Der Fürst hatte mehrere Bären erlegt und erzählte ausführlich von seinen Jagdabenteuern. Schließlich merkte er, daß Madru sich langweilte.
»Ja doch«, sagte er, »ich habe dich vernachlässigt. Ich bin dein Lehrmeister für den Weg der Ritter. Wir haben uns noch nie ausführlich darüber unterhalten. Aber weißt du, im Grund genommen ist alles ganz einfach. Die Söhne der Fürsten sind immer den Weg der Ritter gegangen. Also … warum solltest du ihn nicht auch gehen?«
»Ich bin nicht sicher«, sagte Madru.
Bator runzelte die Stirn.
»Was erwartet man von einem, der sich für diesen Weg entscheidet?« fragte Madru.
»Vor allem, daß er die Tradition achtet.«
Ob es etwa auch die Tradition erfordere, daß man Menschen auf den Scheiterhaufen schicke? Wo denn da der Ausgleich bleibe? Der Sinn für den Kompromiß?
»Immer langsam«, sagte Bator. »Dieser Jammes ist ein Fanatiker gewesen. Wenn es nach den Druiden gegangen wäre, hätte man all seine Anhänger gleich mitverbrannt. Ich habe immerhin durchgesetzt, daß nur einer hat daran glauben müssen. Auch Jammes wäre zu retten gewesen. Aber er hat es vorgezogen, den Märtyrer zu spielen. Wie nur jemand derartig eigensinnig sein kann! Was macht es schon für einen Unterschied, ob man sich vorstellt, daß es eine Anderswelt gibt oder zwei?«
So einfach könne man das wohl nicht
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