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Madru

Madru

Titel: Madru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Hetmann
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schenken. Als er Kolwey darum bat, es ihm zu überlassen, wollte dieser es auf keinen Fall hergeben, was immer Madru dafür zum Tausch anbot. Während sie noch verhandelten, trat der kleine Mann rasch vor ihn hin, entriß ihm mit einem überraschenden Zugriff den Schmuck und hielt ihn fest zwischen seine Handflächen gepreßt. Er erzählte, er habe ihn einst von seiner Frau geschenkt bekommen. Diese sei vor drei Jahren als Sklavin in die Gegend der westlichen Gebirge verkauft und also von ihm getrennt worden. Er habe wenig Hoffnung, daß sie in diesem Leben einander noch einmal wiedersehen würden. Das Medaillon sei das einzige Andenken an sie. Nein, so grausam werde Madru doch nicht sein, es ihm fortzunehmen. Für einen Augenblick überkam Madru Mitleid. Aber dann flüsterte etwas in ihm, hier lasse sich ja nun einmal erproben, ob ihm der schwarze Stab uneingeschränkte Macht verleihe über alles und jeden. Er zog ihn also aus dem Gürtel hervor und berührte spielerisch damit Kolweys Hände. Diese öffneten sich sofort. Rasch nahm Madru das Medaillon an sich und steckte es ein. Der Sklave stimmte ein lautes Gezeter an. Madru fand es schwer erträglich, jemanden so kläglich jammern zu hören. Am liebsten hätte er das, was geschehen war, wieder rückgängig gemacht. Statt dessen aber sagte er: »Wenn ich Herrscher über den Großen Wald bin, Kolwey, will ich dir und deiner Frau die Freiheit schenken.« »Wenn Ihr großzügig sein wollt, junger Mann«, erwiderte der Schildermaler, »warum seid Ihr es dann nicht gleich? Zwischen dem Wort ›wenn( und dem Wort ›Freiheit( liegt oft ein gar langer Weg.«
    »Wie?«, rief Madru. »Willst du damit etwa auch sagen, ich würde nie Herrscher des Großen Waldes werden?«
    »Hätte ich dererlei auf Eurem Gesicht gelesen«, sagte Kolwey, »ich würde mich wohl gehütet haben, es Euch kundzutun. Wenn ich auch nur ein Sklave bin, so ist mir mein Leben doch immer noch lieb.«
    »Nun gut«, sagte Madru, »ich mache dir einen anderen Vorschlag.
    Mal mir ein schönes Bilderspiel. Und finde ich Gefallen daran, so will ich zum Fürsten gehen und ihn bitten, daß du und dein Weib wieder zusammenkommen und man euch beiden die Freiheit schenkt. Du hättest dann weit mehr gewonnen als verloren.«
    Er wollte gehen, aber Kolwey hielt ihn am Ärmel fest. »Stimmt es, was man sich im Volk erzählt?« fragte er. »Seid Ihr der Sohn einer Sklavin?«
    Madru spürte, wie er rot wurde. »Jetzt bin ich der Sternensohn«, sagte er stolz und wandte sich rasch ab. Hinter seinem Rücken hörte er Kolwey sagen: »Ihr solltet wissen, daß die armen Leute und die Sklaven große Erwartungen in Euch setzen.«
    Der Satz klang Madru noch lang in den Ohren nach.
     

NEUNTES KAPITEL
    Das Bilderspiel • Träume von Freiheit
    Weil er nicht Wort halten kann, geht Madru einen langen Weg

    Nach einer Woche wurde das Spiel von einem Boten im Haus der Lehren abgeliefert. Sein Bilderspiel zu bekommen, war für einen Scholaren ein so wichtiges Ereignis, daß der Betreffende ein oder zwei Tage nicht am Unterricht teilzunehmen brauchte. Man fand, er brauche nun Muße, sich mit den Bildern vertraut zu machen.
    Als Madru allein in seiner Zelle war, legte er zunächst die Karten in fortlaufender Reihe von 0 bis 21 auf dem Fußboden aus. Auf allen Karten waren Bäume abgebildet, die zugleich auch Personen waren. So war die Birke ein in die Welt ziehender junger Bursche, um dessen Füße ein Hündchen tänzelte. Die Buche, der Baum auf Karte eins, war zugleich auch ein Zauberer mit einer Bucheckernhülse als Zauberhelm. Er trug einen sprießenden Stab in der Hand. Ein fünfeckiger Stern, das Zeichen der Unendlichkeit, und der Kelch wiesen auf magische Praktiken hin. Die Karte zwei zeigte die Erle, die zugleich Bru war, die Herrscherin über die Anderswelt. Von den Karten drei und vier, Linde und Tanne, sahen ihn eine mütterliche Frau und ein kräftiger, bärtiger Mann an. Die fünfte Karte zeigte Bri mit mahnend erhobener Hand, zwischen Pappelblättern. Auf der Karte sechs war ein Liebespaar dargestellt, das sich unter ei-ner Ranke wilder Rosen küßte. Der junge Mann war ihm selbst so unähnlich nicht, stärker noch aber war die Ähnlichkeit bei dem Mädchen, das eindeutig Alissas Gesichtszüge trug.
    So entstand ein bunter Reigen von Wesen, halb Bäume, halb Götter oder Menschen … bis hin zu den letzten vier Karten, auf denen die Möndin unter der Mondsichel im Holunderstrauch, die Sonnenfrau in einem Ginsterbusch, die

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