Madru
mein Sohn?«
Auf diese Frage war Madru nicht vorbereitet gewesen. Er geriet in Verlegenheit.
Später, in seiner Zelle, dachte er bei sich: du mußt weit besser heucheln lernen. Wenn er in der folgenden Zeit Waldläufe machte, übte er unterwegs Grimassen spontaner Empörung oder ein gleichmütig-freundliches Gesicht, das er sich aufzusetzen vornahm, wenn er in Wirklichkeit empört und wütend war. Er fand Spaß daran. Es war ein Spiel. Was ging es die anderen an, was er wirklich dachte?
Was die Wege betraf, wurde es ihm schwer, sich zu entscheiden. Spontan neigte er dem »Weg des Waldes« zu. Am »Weg des Allwiss« faszinierte ihn das Fremde, Geheimnisvolle, die Möglichkeit, etwas zu entdecken, das ganz neu, anders und wunderbar war. Den »Weg der Ritter« zog er kaum in Betracht. Die Notwendigkeit, ständig Gutes tun zu müssen, kam ihm beängstigend moralisch vor.
Eines Abends, er lernte gerade die unregelmäßigen Verben der Sommersprache, klopfte es an die Tür seiner Zelle. Es war Padur. »Wir gehen zu den Mädchen. Kommst du mit?« fragte er.
»Zu welchen Mädchen denn?«
»Das sieht dir ähnlich, so etwas zu fragen … zu den Mägden vom Fürstenhof. Sie kommen jeden Abend in die Scheune. Illof hat eine Fiedel. Wir tanzen und später kannst du sie vögeln.«
Madru schüttelte abweisend den Kopf.
Padur hob die Hände. »0 Verzeihung, gnädiger Herr«, rief er, »ich hätte bedenken müssen, daß der Sternensohn ein höheres Wesen ist, den wahrscheinlich nie die Lust darauf ankommt, mit einer Magd ins Heu zu gehen.«
»Unsinn«, sagte Madru, »es ist nur …«
»Soll ich dir mal etwas sagen, Sternensohn: den meisten von uns bist du ein Rätsel.«
»Und weswegen?«
»Dein Fleiß und dein Eifer sind erschreckend.«
»Ach so … weißt du: die Anderswelt interessiert mich tatsächlich. «
»Wenn du drüben angekommen bist, vergiß nicht, mir eine Botschaft zu schicken, Madru! Tote Seelen fliegen über die Mauer oder durch sie hindurch … was weiß ich. Aber nicht wir.« »Guh behauptet, manchmal schafften es auch die Irdischen.« »Ach, dieser Guh! Er will nur, daß wir alle den Weg des Allwiss gehen. Also kommst du nun mit oder nicht?«
»Erst beantworte mir ehrlich eine Frage. Glaubst du an die Anderswelt oder nicht?«
»Was ist so wichtig daran?« wollte Padu wissen. »Sieh mal, ich will Gouverneur werden, weil ich bei meinem Vater sehe, so ein Beamter führt ein weit angenehmeres Leben als die meisten anderen Leute. Dazu muß ich die Abschlußprüfung im Haus der Lehren bestehen, und zwar einigermaßen gut. Niemand außer dir macht sich so verrückt wegen der Anderswelt. Gut und schön, ein paar Brocken Brusinisch zu verstehen, das gehört sich nun einmal für einen gebildeten Menschen. Außerdem wird es für die Formel bei der Gouverneursvereidigung verlangt. Na, soviel, wie man da braucht, werde ich schon noch lernen. Genau so viel und, verdammt, nicht allzu viel mehr, denn ich muß dir sagen: mir gefällt es hier in dieser Welt ganz gut. Also, was geht mich die Anderswelt an?«
Madru fand, das sei eine erstaunliche Einstellung. Er hatte sich bisher tatsächlich eingebildet, jeder seiner Mitschüler sei, was die Anderswelt angehe, von dem gleichen Eifer besessen wie er selbst.
»Aber Padur, begreif doch ...«
Er wollte zu einer ausführlichen Darstellung dessen ausholen, was er sich von einem Ausflug in die Anderswelt versprach. »Nichts da«, unterbrach ihn Padur, »entweder du vergißt wenig-stens mal für einen Abend diese verfluchten unregelmäßigen Verben der Sommersprache und kommst jetzt mit, oder ich werde den Sternensohn ewig und für alle Zeiten als erbärmlichen Streber und Duckmäuser in Erinnerung behalten.«
Ein paarmal ging Madru daraufhin mit in die Scheune. Es fiel ihm nicht schwer, einem Mädchen schöne Augen zu machen und sie herumzukriegen, nach dem Tanz mit ihm ins Heu zu gehen. Er empfand es als angenehm, daß danach jene Spannung fort war, die man verspürte, wenn man ein Mädchen beim Tanzen fester an sich drückte. Es kam ihm vor wie Essen und Trinken. Man stillte einen Hunger. Danach war man satt. Man fühlte sich wohl. Aber eine Sensation war das nicht. Und gewiß auch nicht das, was es verdiente, eine Leidenschaft genannt zu werden. Wenn er überhaupt darüber nachdachte, sagte er bei sich: gut, daß ich nun weiß, wie man sich davor, dabei und danach fühlt. Im übrigen war er der Meinung, es werde zuviel Aufhebens davon gemacht. Nach ein paar Wochen, in
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