Madru
etwas älter, hatte breitere Schultern, aber die Ähnlichkeit war dennoch verblüffend.
Was soll das? dachte Madru. Zugleich war ihm, als wisse er ganz genau, warum er hier stehe und diesen drei Personen bei ihrer Verhandlung zuschaue.
Da er nicht hören konnte, was sie sagten,bemühte er sich, aus den Gesten, Mienen und Bewegungen zu erraten, was da vor sich ging. Zuerst redeten der Erzdruide und die Fürstin auf seinen Doppelgänger lebhaft ein. Sie schienen ihm etwas zu erklären. Dann verließ die Fürstin den Raum. Sie kam unmittelbar an Madru vorbei, und es erschien ihm einfach lächerlich, daß sie ihn nicht sah. Er mußte lachen. Aber von seinem Lachen hörte man keinen Laut. Die Fürstin kam mit zwei Beuteln zurück, kleinen Lederbeuteln, wie man sie in Norrland fast ausschließlich dazu benutzt, um Goldstaub aufzubewahren. Sie ging zum Erker und gab dem Doppelgänger den einen Beutel. Er verlangte offenbar auch noch den zweiten Beutel, aber sie schüttelte energisch den Kopf und ihre Gesten, so erriet Madru, deuteten an, daß der Doppelgänger den zweiten Beutel erst dann bekommen sollte, wenn er das getan hatte, was man von ihm verlangte.
Die ganze Szene stand in einem Licht von Tücke und Gemeinheit. Madru wendete sich angewidert ab. Er wollte zu Alissa zurück, sie noch einmal in die Arme nehmen, sie wieder küssen.
Eben da sah er wieder den Felsen zwischen dem anderen Ufer und dem Waldrand vor sich.
Mit einer Raschheit, die sein Herz schmerzen ließ, fand er sich wieder in den grauen Winternachmittag auf die Wiese zurückversetzt … vor sich der Felsen, der Bach, die Reihe der Erlenbäume, von denen zwei für Augenblicke in diesem weiß-kalten Licht dagestanden hatten. Es war nicht mehr. Er sah dort drüben nur noch die Stämme, alle mit nackten Ästen. Bedächtig, immer noch über das merkwürdige Erlebnis nachgrübelnd, lief Madru zum Haus der Lehren zurück.
Er suchte Padur, sagte, er müsse ihn unter vier Augen sprechen. Sie gingen in Madrus Zelle, und dort erzählte er dem Freund, was er .eben erlebt hatte.
»Begreifst du, was das alles zu bedeuten hat?«
»Soviel begreife ich«, sagte Padur, »wenn sie einen Doppelgänger für dich gefunden haben und ihm ein Säckchen Goldstaub jetzt und ein zweites später geben wollen, haben sie wohl vor, dich zu töten.«
»Mich oder Alissa«, sagte Madru. Er verspürte ein unbehagliches Gefühl.
»Du mußt fort«, sagte Padur. »Willst du warten, bis sie dich umbringen?«
»Und Alissa?«
»Es geht um dich, nicht um sie, nach all dem, was du erzählt hast«, sagte Padur, »Hunde treiben wir schon irgendwo auf. Was den Proviant angeht, so könnte ich sicher mit einer der Mägde sprechen.«
Madru schüttelte den Kopf. »Wir bleiben hier«, sagte er.
»Sei nicht töricht, Madru. Sie töten dich. Du darfst eine solche Warnung nicht einfach in den Wind schlagen. Und wenn der Erzdruide mit von der Partie ist, mußt du doppelt vorsichtig sein. Denk daran, wie es dem armen Jammes ergangen ist.«
»Das wollen wir doch mal sehen«, sagte Madru eigensinnig. »Danke, es tut mir gut, zu wissen, daß ich auch noch Freunde habe. Aber ich kann jetzt nicht fort.«
»Und warum nicht?«
Madru rieb sich das Kinn und verzog das Gesicht und zuckte die Schultern. »Wie soll ich dir das erklären? Nun, vielleicht verstehst du es, wenn ich dir sage, daß ich mich noch einmal in Alissa verliebt habe.«
»Dir ist nicht zu helfen«, sagte kopfschüttelnd Padur.
ZEHNTES KAPITEL
Späteres Unheil deutet sich an • Das Fest der Wintersonne wird gefeiert • Madru wählt den »Weg des Waldes«
Alissa wählt Madru zum zweiten Mal
Das Fest der Wintersonne war herangekommen. Tage zuvor schon hatten in der Fürstensiedlung die Vorbereitungen begonnen. Jagen und Fischen, Backen und Brauen. Die Rennstrecke war zu vermessen, Reisig für die Feuerräder auf den Hügel zu bringen.
Traditionell schmorte in der Pfanne eines jeden Freisassen als Festbraten am ersten Feiertag ein Hase. In großen Haushalten brachte man ein ganzes Reh auf den Tisch. Krons- und Multbeerenmarmelade, süß-herb, gab es dazu. Weißbrote wurden gebacken und große Brezeln, die man den Kindern schenkte. Aus Teichen holte man Karpfen und Schleie. Jetzt wurde abgefischt. Aus den Bächen in den Gebirgen im Westen kamen Lachse und Forellen. Zum Fest der Wintersonne trank man Met und starkes braunes Bier, dazu einen Schnaps aus Schlehen, der den Rachen putzte und Unerfahrenen die Augen tränen ließ. Am
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