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Madru

Madru

Titel: Madru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Hetmann
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»ich muß mich entscheiden. Bis morgen weiß ich, was ich will.«
    Er spürte einen Stich im Herz.
    Im Winter endete der Unterricht gegen drei Uhr. Um diese Zeit begann es draußen schon dunkel zu werden. Im Haus der Lehren setzten sich die Scholaren um diese Stunde vor dem Kamin in der Bibliothek zusammen. Man schwatzte, übte sich im Fiedelspiel, einige schnitzten aus Holz Geschenke für das Fest der Wintersonne.
    Madru nahm das Bilderspiel und legte die Karten aus mit der Frage, ob er reisen solle oder nicht. Die Antwort war nicht eindeutig. Er verspürte ein merkwürdiges Kribbeln in Armen und Beinen. Das veranlaßte ihn aufzustehen. Es war, als ziehe ihn etwas an. Er überließ sich diesem merkwürdigen Sog, ging auf die Straße, an der Großen Halle vorbei und kam schließlich auf die Wiese, auf der er damals im Sommer mit Alissa getanzt hatte.
    Es war graudunkle Luft, durch die einzelne Flocken trieben. Madru sah die Reihe der Bäume, die den Bachlauf bezeichneten und einen Felsen zwischen dem anderen Ufer und dem Waldrand vor sich. Plötzlich sprühte an einer der Erlen ein scharfes, kaltes, weißliches Licht auf. So, als ob Schnee zu brennen, zu glühen anfange.
    Madru rieb sich die Augen, weil er es für eine Sinnestäuschung hielt. Er hatte in den letzten Tagen häufig an Alissa gedacht. Wie er dort hinstarrte, wie er daran dachte, daß dieses kalte, übergrelle Licht dem ähnlich sei, das auf dem Fest die Große Halle erfüllt hatte, als Mola und Alissa hereinkamen, spürte er, daß er seinen Körper verlassen und in den Stamm des einen Baumes eintreten konnte. Einen Moment später schien sein Körper in dem Flimmern des weißen Lichts zu stehen. Etwas drängte ihn, weiterzugehen. Er trat aus dem Baum, aus der Erle, heraus, als komme er durch eine Tür. Er überquerte einen breiten Fahrweg, stand vor einem großen, eleganten Holzhaus, das er nie zuvor gesehen hatte. Vor dem Haus wartete ein Reiseschlitten mit einer Koppel Hunde, und ein Treiber, in Pelze vermummt, paßte auf die Hunde auf. Immer noch, ohne genau zu wissen, wo er sich befand, von einer merkwürdigen Erregung getrieben, betrat Madru eine geräumige Diele, in der buntbemalte Truhen standen und ein großer Wandteppich aufgehängt war. Immer noch wie unter Zwang, war er ganz sicher, eine bestimmte Tür öffnen zu müssen. Er gelangte in ein Zimmer, in dem er Alissa sah.
    Sie stand an einem Tisch und hatte vor sich einen Haufen getrocknete Erlenblätter liegen, von denen sie eines nach dem anderen aufnahm, es in die Flamme einer Kerze hielt und verbrennen ließ. Als sie Madru erkannte, hielt sie sofort damit inne, lächelte, wie jemand, der über etwas Genugtuung empfindet, kam auf ihn zu, fiel ihm um den Hals und gab ihm einen Kuß. Er versuchte, etwas zu sagen, aber er hörte keinen Laut. Ein Traum, dachte er. Und dann: aber im Traum reden doch die Leute auch. Er freute sich, Alissa zu sehen. Sie hatte sich verändert in den Monaten, in denen sie voneinander getrennt gewesen waren. Sie war erwachsener geworden. Er wollte sie wieder und wieder küssen. Er spürte, welches Verlangen er nach ihren Küssen gehabt hatte und wie er immer erregter wurde. Sie erwiderte seine Küsse, und es war fast wie in jenem Augenblick, als sie sich voneinander getrennt und er nichts anderes mehr gewußt hatte, als daß sie sich küßten. PlötzIich aber schob sie ihn von sich fort, machte eine Bewegung, als wolle sie etwas abschütteln, faßte ihn an der Hand und ging, ihn hinter sich herziehend, rasch durch drei, vier Räume. Vor einer angelehnten Tür blieb sie stehen, küßte ihn noch einmal und lief dann zurück. Durch den Spalt der angelehnten Tür sah er in einen kleineren Saal. Der Fußboden war mit Fellen ausgelegt. Ein Kaminfeuer brannte.
    Er wurde sich wieder bewußt, daß er allein war, daß alles stumm vor sich ging, er jedenfalls weder Worte, Töne noch andere Geräusche wahrnahm. Er betrat den Saal und ging auf eine Gruppe von drei Menschen zu, die in einem Erker standen und lebhaft aufeinander einredeten, ohne daß er etwas davon verstanden hätte, was sie sprachen. Es waren der Erzdruide, die Fürstin und … Madru erschrak, zuckte zurück … ein junger Mann, der ihm aufs Haar glich. Im ersten Augenblick schien es ihm sogar, als stehe er zugleich da vor dem brennenden Kamin und dort drüben, zwischen den beiden, im Erker. Dann wurde er sich bewußt, daß er es mit einem Doppelgänger zu tun hatte. Der andere erwies sich bei näherem Hinsehen als

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