Maechtig, mutig und genial

Verteidigungsministerium.
    1999 wählt sie der Kongress ihrer Partei erneut in Führungsfunktionen und Bachelet steigt in das Wahlkampfteam ihres Parteifreundes Ricardo Lagos ein. Am 11. Januar 2000 gewinnt er die Stichwahl gegen den rechten Kandidaten Joaquín Lavín, und zwei Monate später zieht fast 27 Jahre nach dem Putsch gegen Salvador Allende wieder ein Sozialist in die Moneda ein. Lagos ernennt Michelle Bachelet zu seiner Gesundheitsministerin und beauftragt sie, innerhalb von drei Monaten die endlosen Warteschlangen im öffentlichen Gesundheitswesen zu beenden. Sie führt die zentralisierte telefonische Anmeldung ein, verlängert die Sprechstunden und richtet 24-Stunden-Notfallsprechstunden für Kinder und über 65-Jährige ein, so dass sich im Juli die Menschenmassen vor den öffentlichen Hospitälern und Gesundheitsposten um 90 Prozent verringert haben. Bachelet bietet ihren Rücktritt an, weil sie ihr Ziel nicht erreicht hat, doch Lagos bestätigt sie im Amt. In der Folgezeit stößt sie eine Reform des öffentlichen Gesundheitswesens und eine Ausweitung des Krankenversicherungsschutzes an, die dann ihr Nachfolger vollendet. Als sie den Verkauf der »Pille danach« erlaubt und deren Gratisabgabe an Vergewaltigungsopfer im öffentlichen Gesundheitswesen verfügt, handelt sie sich Proteste der katholischen Kirche und eine Verfassungsklage ein. 2001 verbietet der Oberste Gerichtshof die Verbreitung der »Pille danach«, denn er wertet sie als Abtreibung.
    Nach einer Kabinettsumbildung am 7. Januar 2002 schreibt Michelle Bachelet zum ersten Mal Geschichte: Sie wird dieerste Verteidigungsministerin Chiles und ganz Südamerikas und nach 29 Jahren die erste Sozialistin auf diesem Posten. Die konservativen Militärs haben nicht etwa Vorbehalte gegenüber der Sozialistin, vielmehr sehen die meisten die Tochter ihres einst wegen Vaterlandsverrats verurteilten, ehemaligen Kameraden als ein Mitglied der
familia militar
an. Während der zwei Jahre im Amt erreicht sie eine Annäherung zwischen Tätern und Opfern der Diktatur, sie selbst spricht von einer Wiederbegegnung, aber nicht von Versöhnung. Der Chef der Streitkräfte, General Juan Emilio Cheyre, übernimmt die Verantwortung für die unter der Herrschaft der Militärs begangenen Menschenrechtsverletzungen: 3 000 Menschen waren ermordet, an die 100 000 gefoltert und etwa eine Viertelmillion ins Exil getrieben worden.
    Zum 30. Jahrestag des Putsches wird in einem ehemaligen Konzentrationslager auf der Insel Dawson, in dem vor allem Allende nahestehende Politiker inhaftiert waren, eine Gedenkfeier im Beisein von ehemaligen Insassen und Soldaten gehalten. Und ihr Vater wird, gemeinsam mit anderen unter der Diktatur des Verrats bezichtigten Soldaten, in einer Zeremonie auf der Luftwaffenbasis Quintero im Dezember 2003 in Anwesenheit der Ministerin öffentlich rehabilitiert.
    Bachelet modernisiert die Streitkräfte und widersetzt sich dem Vorwurf, Chile rüste auf. Es gehe um die Ersetzung schrottreifen Materials, argumentiert sie. Außerdem sei ein Mindestmaß an Abschreckung nötig. Auch sei für die chilenische Beteiligung an UN-Friedensmissionen in Zypern, Bosnien oder Haiti eine moderne Ausrüstung vonnöten. Bachelet erweitert den Zugang von Frauen zu den Streitkräften und setzt die Ottawa-Konvention zur Ächtung und Zerstörung von Anti-Personen-Minen um.
    Als ihr die Streitkräfte 2010 einen Orden verleihen, erklärt sie, dass sie nur Dank des Militärs Präsidentin geworden sei. Hintergrund dieser Äußerung ist, dass sie 2002 bei Überschwemmungen im Großraum Santiago, als ganze Gemeindenunter Wasser stehen, nicht nur die Streitkräfte zu Hilfe schickt, sondern auch selbst mit Schirmmütze und Gummimantel auf einem Panzer durch die überfluteten Straßen fährt und den Hilfskräften Anordnungen gibt. Damit hatte sie sich die Herzen ihrer Landsleute endgültig erobert. Im darauffolgenden Jahr ist sie die beliebteste Politikerin nach dem Präsidenten. Bei einem Konzert des in Chile gefeierten spanischen Liedermachers Joan Manuel Serrat wird sie mehr bejubelt als der Sänger und der ebenfalls anwesende Präsident Lagos.
    Gemeinsam mit der christdemokratischen Außenministerin Soledad Alvear verließ Bachelet zum 1. Oktober 2004 das Kabinett. Beide Frauen wollten sich in den Parteien der
Concertación
um die Nominierung zur Präsidentschaftskandidatin bewerben. Eigentlich sollte es am 31. Juli 2005 zu für alle Bürger offenen Vorwahlen kommen, doch