Maechtig, mutig und genial
wird manchmal vorgeworfen, dass sie zu elitär und nicht radikal genug gewesen seien, aber letztlich haben sie die Strategie gewählt, die sie am besten beherrschten und die ihnen die meiste Aussicht auf Erfolg zu bieten schien. Der elitäre Lobbyismus und das explizite Abrücken von radikaleren Feministinnen war sicherlich für Brasilien die bessere Taktik, denn das Land war damals im Hinblick auf die Geschlechterverhältnisse und die soziale Hierarchie von noch größerer Ungleichheit gezeichnet als andere lateinamerikanische Länder.
Der Erfolg dieser Strategie wurde am Ende des Zweiten Weltkrieges sichtbar. Brasilien war relativ früh auf Seiten derUSA in den Krieg eingetreten. Seine Soldaten hatten in Europa gekämpft, so dass es auch an den Verhandlungen über die Nachkriegsordnung beteiligt war. Die erste Konferenz der Alliierten in Dumbarton Oaks fand ohne die Beteiligung von Frauen statt. Sie wurden nicht einmal erwähnt! Daraufhin erhob sich der Protest verschiedener internationaler Frauenverbände, auch der brasilianischen Frauenföderation FBPF. Auf der anschließenden konstituierenden Versammlung der Vereinten Nationen (UNICO) in San Francisco im Jahre 1945 hatten Frauenverbände weder einen offiziellen noch einen beratenden Status, aber in den Delegationen einiger Länder waren Frauen vertreten. Unter diesen waren die Lateinamerikanerinnen führend, stellten sie doch gleich fünf Delegierte, darunter Bertha Lutz aus Brasilien, Isabel Pinto de Vidal aus Uruguay und Minerva Bernadino aus der Dominikanischen Republik. Auf Betreiben dieser Delegierten debattierte die UNICO, ob in der Präambel sowie in den Passagen über die Ämterbesetzung in den Vereinten Nationen die Gleichheit von Männern und Frauen explizit festgeschrieben werden und eine eigene Kommission zur Situation der Frauen gebildet werden sollte. Vor allem Artikel 8, der die Beteiligung an den UN-Gremien zum Thema hatte, rief eine heftige Debatte hervor. Die Gegner einer expliziten Erwähnung der Gleichheit von Männern und Frauen in den Gremien beriefen sich darauf, dass die Gleichberechtigung in der Charta ohnehin schon gewährt sei, man sie also nicht explizit erwähnen müsse. Und sie wiesen darauf hin, dass die spezifische Erwähnung der Beteiligung und Repräsentation von Frauen in der
domestic sphere of the member states
auf Probleme stoßen würde. »Frauenthemen«, also Haushalt und Familie sowie Soziales und Fragen der Moral, seien nicht Gegenstand internationaler Politik, sondern Angelegenheit der einzelnen Staaten – eine Vorstellung, die von den Frauen auch schon im Völkerbund bekämpft worden war. Letztlich wurde Artikel 8 mit der expliziten Gleichheitsformel beschlossen. Dies ist vor allem den wenigen weiblichen Delegiertenzu verdanken, die sich dafür so vehement eingesetzt hatten.
»Dieser Paragraph ist der Beitrag Lateinamerikas zur Weltordnung. Er wurde von den Frauen der Delegationen Uruguays, Brasiliens, der Dominikanischen Republik und Mexikos geschrieben. (…) Dies ist nicht nur eine Anerkennung der Rechte von Frauen, obwohl ich an die Bedeutung dieser Gesetze glaube. Es ist mehr. Die weiblichen Abgeordneten auf der Konferenz sind die Vorläuferinnen der Beiträge von Frauen zur Weltpolitik«, erklärte Bertha Lutz nach Verabschiedung des Paragraphen und fügte noch hinzu: »Der Umstand, dass die Frauen in der Lage waren, bei der Ausarbeitung der Charta eine Rolle zu spielen, ist eine Folge der Tatsache, dass sie in ihren eigenen Ländern volle politische Rechte haben.« Nationale und internationale Politik sind gerade im Hinblick auf die Frauenrechte eng verbunden, das hatte Bertha Lutz immer wieder erfahren. Daher verlegte sie nun ihre Aktivitäten auf die internationale Ebene, vor allem auf die UNO und die UNESCO. Auf ihr Drängen richteten die Vereinten Nationen 1952 eine Kommission für Frauenrechte ein, in der sie mitarbeitete. Bald darauf wurde sie mit Titeln und Ehren überschüttet, so wurde sie 1951 zur »Frau der Amerikas« erklärt und repräsentierte Brasilien in internationalen Organisationen, die sich mit Frauenfragen befassten. Aus der aktiven brasilianischen Politik zog sie sich nach 1945 zurück, zumal diese demokratischer wurde und ihre Nähe zur Regierung Vargas ihr auch Kritik eintrug. Sie begleitete jedoch die Aktivitäten brasilianischer Feministinnen weiter. Darüber hinaus arbeitete sie bis 1964 im Nationalmuseum und beschäftigte sich mit Fragen der Erhaltung der Natur, vor allem im
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