Maechtig, mutig und genial
brasilianischen Senat empfangen. Dies alles gab dem Kongress und der
Federação
einen enormen Zuwachs an Publizität und Respektabilität, und es zeigt, wie Bertha Lutz arbeitete. Sie setzte nicht auf Konfrontation, wie die englischen Suffragetten, sondern suchte die Unterstützung einflussreicher Bürger, vor allem von Politikern, denn schließlich waren diese es, die die Gesetze verabschiedeten. Und sie hatte bereits einige namhafte Politiker von ihren Anliegen überzeugen können.
In den 1920er Jahren kam es zu einer Reihe von Initiativen, die die Gewährung politischer Rechte für Frauen vorbereiten sollten, und Bertha Lutz war immer dabei. Die Brasilianer gewöhnten sich allmählich an die Präsenz von Frauen im öffentlichen Leben und in der Politik, der Widerstand gegen politische Rechte für Frauen bröckelte. 1927 begann eine Verfassungskommission des brasilianischen Senats die Beratungen über die Gewährung des Stimmrechtes für Frauen. Bertha nahm mit einer Gruppe von Aktivistinnen der
Federação
als Zuschauerin teil. Sie hatten eine Petition mitgebracht, die von 2000 Frauen aus allen Bundesstaaten unterzeichnet worden war. Viele Brasilianerinnen konnten inzwischen nicht nur lesen und schreiben, sondern waren gut ausgebildet und verfügten sogar über einen Universitätsabschluss. Dies war eines der Hauptargumente für das Frauenwahlrecht.
Die brasilianische Verfassung von 1891 gewährte allen Bürgernüber 21 Jahren das Wahlrecht, ausgenommen waren nur der Ordensklerus, die Militärs sowie Arme und Analphabeten. Von Frauen war nicht die Rede, und da sie ja zweifelsfrei als Brasilianerinnen und damit als Bürger der Republik galten, begannen die Feministinnen, volle Bürgerrechte zu beanspruchen. Sie pochten darauf, dass viele Frauen aus der städtischen Mittel- und Oberschicht inzwischen gebildeter waren als das Gros der Männer aus der Unterschicht, und somit durchaus qualifiziert, politische Rechte auszuüben. Allerdings gab diese Argumentation der Frauenbewegung auch eine elitäre Note, macht aber Berthas Insistieren auf Bildung für Frauen umso verständlicher.
Und Bertha Lutz selbst beherzigte das, was sie predigte. Angesichts der vielen juristischen Fragen, die im Hinblick auf die Rechte der Frauen relevant waren, entschloss sie sich 1929 noch zum Jurastudium, das sie 1933 erfolgreich abschloss. Gleichzeitig war sie Mitgründerin eines Akademikerinnenbundes, der nicht nur eine Lobby für die noch immer kleine Gruppe von Frauen mit Hochschulabschluss sein wollte, sondern diese auch für die Sache des Feminismus zu gewinnen versuchte.
Bertha Lutz gründete nie eine Familie. Sie selbst hat sich nie dazu geäußert, so dass über die Gründe nur spekuliert werden kann, doch scheint einerseits die Liebe zum Beruf, andererseits der Drang nach Unabhängigkeit und einem selbstbestimmten Leben eine Rolle gespielt zu haben. Vielleicht fand sich auch einfach kein Mann, der die unabhängige und politisch aktive Bertha, die noch dazu ständig im Ausland unterwegs war, heiraten wollte.
1930 schienen die brasilianischen Frauen endlich am Ziel angelangt zu sein: Im Senat wurde ein Gesetzentwurf verabschiedet, der den Frauen volle politische Rechte zusprach. Doch dann gerieten Staat und Wirtschaft in der Folge der Weltwirtschaftskrise in Bedrängnis. Es kam zu einem Putsch, an dem verschiedene Politiker sowie eine Gruppe junger Offiziere beteiligt waren, die sich für Demokratisierung und Zurückdrängungder Macht der traditionellen Oligarchie aus São Paulo und Rio de Janeiro einsetzten. Diese sogenannte Revolution von 1930 setzte die Verfassung außer Kraft und übertrug die Regierungsgeschäfte Gétulio Vargas, einem Politiker aus Rio Grande do Sul, der sich in der Folge immer stärker zu einem autoritären Machthaber entwickelte. Doch zunächst folgte eine Demokratisierungswelle und man beriet über eine neue Verfassung. Eine Kommission sollte ein neues Wahlgesetz erstellen – und Bertha Lutz gehörte ihr an. Man arbeitete einen Entwurf aus, der Frauen politische Rechte zusprach, aber ein männliches Mitglied der Kommission versuchte dies zu torpedieren, da ein solcher Schritt zuvor vom Parlament gebilligt werden müsse. Doch es gelang den Frauen, dies durch massiven öffentlichen Druck zu verhindern. Zuvor schon waren sie gegen einen ersten Entwurf Sturm gelaufen, der ihnen zwar grundsätzlich politische Rechte zusprach, die verheirateten Frauen aber ausnahm. Nicht auszudenken, was es für den
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