Maechtiger Samstag
antwortete Blatt. »Gibt es irgendetwas unter diesem Krankenhaus? Ich meine Tiefgeschosse … vielleicht sogar einen Atombunker?«
»Ich bin seit zwanzig Jahren nicht mehr hier gewesen!«, rief Martine. »Frag Vess.«
Blatt schaute sich um und zeigte dann auf die Genannte, die starr in einer Ecke stand.
»Oh!«, sagte Martine. »Nun ja, vor zwanzig Jahren gab es Operationssäle auf B3, und es gab auch einmal einen Atombunker. Ich meine, dieses Krankenhaus wurde in den Fünfzigerjahren gebaut, was erwartest du also?«
»Wir müssen alle dort runterschaffen«, erklärte Blatt mit Bestimmtheit. »Sie und ich. So schnell wir können.«
»Aber sie sind wie Statuen …«
»Wir werden sie in Betten schieben, zwei oder drei pro Bett. Ob die Aufzüge wohl funktionieren? Die Lichter gehen jedenfalls.« Blatt sah das Zögern in Martines Gesicht. »Nun machen Sie schon – helfen Sie mir, die beiden in das Bett da zu verfrachten!«
»Ich verstehe das nicht«, sagte Martine. »Ich dachte, wenn ich endlich zu Hause bin, wird alles wieder gut. Aber was soll das eigentlich! Warum bringen wir alle nach unten? Wozu brauchen wir einen Atombunker?«
»Arthur hat gesagt, die Armee wird das Ostbezirkskrankenhaus um 0.01 Uhr mit Atomwaffen angreifen, weil es ein Seuchenherd ist. Und der Ostbezirk ist nicht so weit weg von hier. Arthur hat irgendwas gemacht, um die Zeit anzuhalten, vermute ich, aber vor einem Moment hat sie wieder kurz eingesetzt. Sie könnte in einer Sekunde noch mal einsetzen, oder in einer Minute, wer weiß! Bitte, wir müssen anfangen!«
»Nein!«, sagte Martine. »Nein!«
Sie drehte sich um und lief schluchzend davon, rauschte durch die Schwingtür und verschwand.
Blatt starrte ihr eine Mikrosekunde hinterher, dann ging sie zum nächsten Krankenhausbett und nahm es in Augenschein. Es hatte Räder mit Bremsen daran; die löste sie. In dem Bett lag bereits ein Schläfer, also packte sie es am Geländer, zog das Bett vor und schwenkte es herum. Das war schwieriger, als sie erwartet hatte, möglicherweise weil es schon lange nicht mehr bewegt worden war.
»Du bist Nummer eins«, sagte sie zu dem Mann, der in dem Bett schlief. »Unterwegs werden wir Tante Mango auflesen, die ist dann Nummer zwei. Nach euch beiden muss ich dann nur noch schätzungsweise eintausendneunhundertachtundneunzig Leute in Sicherheit bringen. In zweieinhalb Minuten!«
Blatt brauchte viel länger als zwei Minuten, um die Aufzüge zu finden, und als sie sie endlich gefunden hatte, musste sie zu ihrem Entsetzen feststellen, dass sie nicht funktionierten. Offenbar waren von dem Rote-Aura-Effekt alle Sachen betroffen, die sich normalerweise bewegten. Zum Glück hing neben der Bank vor den Aufzügen ein Gebäudeplan, der anzeigte, wo es eine Rollstuhlrampe zu den unteren Stockwerken gab.
Blatt hatte nicht nur ihre Tante Mango, sondern auch noch zwei weitere Leute in das Bett gepackt. Es waren die kleinsten, die sie auf die Schnelle hatte finden können. Trotzdem tat ihr der Rücken weh, nachdem sie sie erst über den Boden geschleift und dann aufs Bett gewuchtet hatte. Es war tatsächlich nicht anders, als ob man Statuen transportierte, wenn sie auch aus Fleisch und Blut und nicht aus Marmor waren. Aber durch ihre Steifheit waren sie schwierig zu manövrieren.
In der Nähe des oberen Rampenendes hing noch ein Lageplan, doch war dem nicht zu entnehmen, wo früher die Operationssäle oder der alte Bunker gewesen waren. Blatt würde wohl suchen müssen. Als sie das Bett vor sich herschob, bemerkte sie auf einem der Stationstresen einen eingeschalteten Fernseher. Die eingeblendete Uhrzeit in der oberen rechten Ecke zeigte 11.57 Uhr. Der Nachrichtensprecher saß mit offenem Mund da, im Hintergrund war das Standbild irgendeiner Nachricht zu sehen, und in der erstarrten Laufschrift am unteren Rand stand: könnten drastische Maßnahmen erforderlich.
Als sie im untersten Stockwerk ankam, sah sie, dass es seit langem unbenutzt war. Es war staubig, Spinnweben hingen von der Decke, und nur eins der drei Lichtpaneele funktionierte noch.
Aber es gab auch ein verblasstes Zeichen an der Wand und verschiedenfarbige Wegmarkierungen auf dem Boden, die sie durch den Staub noch eben so erkennen konnte. Ein rot gekennzeichneter Weg führte zu den Operationssälen, ein blauer zu einem Ort mit dem beschönigenden Namen ›Überlebenszentrale‹, die höchstwahrscheinlich der Atombunker war.
Blatt rollte das Bett in den Gang und ließ es dort stehen, um erst den
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