Mädchen im Moor
Jahren, in einem langen Schaffellmantel, der bis zur Erde reichte, trat aus dem Stall und winkte mit beiden Armen.
»Das ist Irma, die Älteste!« sagte Heckroth stolz. »Sie kann schon fast den ganzen Haushalt. Bei uns ist es wie bei Robinson … wir müssen alle alles können!«
Wenig später stand Monika Busse vor dem Bett der Moorbäuerin. Im kleinen Kreiskrankenhaus von Stavenhagen hatte man ihr den Blinddarm herausgenommen, aber da sie zu früh wieder aufgestanden war, um schnell entlassen zu werden, hatte sich die Narbe entzündet, war auf geplatzt und näßte. Nun mußte sie – und das gerade kurz vor Weihnachten – mindestens noch zwei Wochen fest liegen.
Elga Heckroth sah das Mädchen aus dem ›Wildmoor‹ eine Weile stumm und mit abtastenden Blicken an. Es war eine lautlose Ansprache: So also siehst du aus! Anders, als ich es gedacht habe. Viel zu gut, zu jung, zu zerbrechlich und hilflos. Die Männer mögen so etwas, weißt du das? Sie fühlen sich stark, wenn sie den Beschützer spielen können. Ich warne dich! Ich habe vier Kinder mit diesem Mann, und es wird sicher sein, daß im nächsten Jahr das fünfte kommt. Die Januar- und Februar-Nächte sind kalt und stürmisch im Moor, der Wind heult in die Schornsteine hinein und bläst die Öfen aus. Dann ist es kalt im ganzen Haus, besonders im Schlafzimmer, man kriecht zusammen, um sich zu wärmen. Und dann zittert man nicht nur vor Frost. – Ich warne dich, Mädchen … laß mir den Fiedje in Ruhe mit deinen Madonnenaugen, deinen blonden Locken und dem zierlichen Körper wie aus Marzipan. Ich warne dich –
»Sie ist die beste von der ganzen Anstalt –«, sagte Fiedje ungeschickt, nur um das lastende Schweigen zu brechen. »Der Herr Regierungsrat sagte mir, daß Fräulein Monika Busse –«
»Fräulein –« Elga Heckroth zog die Oberlippe etwas empor. »Wie alt bist du?«
»Achtzehn, Frau Heckroth.«
»Hast du überhaupt schon mal gearbeitet? Ich meine, mit deinen Händen, nicht mit deinem Körper!«
Monika Busse senkte den Kopf. Fiedje Heckroth wurde rot und klopfte mit einem Holzscheit unruhig auf den eisernen Ofen. Elga sah zu ihm hinüber, mit einem bösen Lächeln, wie es nur Frauen können, denen Eifersucht und Angst einen unerschöpflichen Reichtum an Gemeinheit bescheren.
»Regt es dich auf, Fiedje?« fragte sie spitz.
»Monika ist hier, um dir zu helfen –«, sagte er laut.
»Habe ich sie gerufen?«
»Sie hat den besten Willen –«
»Das glaube ich!«
»Du wirst dich ausruhen können.«
Elga Heckroth gab darauf keine Antwort. Sie musterte wieder das stumme Mädchen und bemerkte, daß es leise weinte. Sie weint, dachte sie verblüfft. Wirklich, sie weint. Jedes andere Mädchen wäre frech geworden, vor allem die Mädchen, die so sind, wie die alte Barbara sie geschildert hat. Sie wären trotzig geworden, gemein, ausfällig, und man hätte einen guten Grund gehabt, sie wegzuschicken wegen Aufsässigkeit. Aber man kann kein Mädchen wegschicken, weil es weint, weint wie ein kleines Kind, das man ungerecht geschlagen hat.
Sie sah zu Fiedje hinüber, der am Ofen stand, das Holzscheit in der Faust, und gegen die Wand starrte mit kantigen, durch die Haut sichtbaren Backenknochen.
»Sie kann schon die Wäsche waschen«, sagte sie weniger scharf.
»Ja.«
»Zeig ihr, wo alles ist.«
»Ja.«
»Weißt du, wie man wäscht?« Monika hob den Kopf. Ich hasse sie, dachte sie in diesem Augenblick. Mein Gott, wie ich sie hasse! Morgen werde ich hier wieder weggehen Lieber in einer der Zellen im Keller, als einen Tag unter diesen Blicken und diesen Worten, die mich auspeitschen als sei ich eine nackte Hexe, die man in Stücke schlagen darf. »Weißt du, welche Wäsche man kocht und welche nicht?«
»Ja –«, antwortete Monika Busse mühsam.
»Wir werden ja sehen –«
Es war wie das Hinaustreten in eine eiskalte, klare Luft, als sie mit dem Bauern Fiedje das Schlafzimmer verlassen hatte. An der Tür zur Waschküche, die neben dem Kälberstall lag, blieb er stehen und rang die Hände ineinander.
»Sie dürfen es ihr nicht übelnehmen, Monika«, sagte er dumpf. »Sie wissen ja … die Nachbarn, die alte Barbara, und was man so alles hört … wir hier im Moor sind ein bißchen komisch … bei uns ist das Leben so natürlich, wie es die Natur um uns herum ist. Im Frühling blüht es, im Sommer reift es, im Herbst erntet man und im Winter schläft die Erde … und so halten wir es auch, wir Menschen. Für uns seid ihr eine andere Welt,
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