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Mädchen im Moor

Mädchen im Moor

Titel: Mädchen im Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kirche nehmen …«
    »Es freut mich, daß Sie so für Monika Busse sorgen.«
    »Aber die Vorschriften, Herr Direktor –«
    »Wenn man sie bricht, um zu Gott zu gehen … mein lieber Heckroth, halten Sie uns Beamte nicht für total verkalkt –«
    »Ich … ich danke Ihnen, Herr Direktor.« Fiedje Heckroth wischte sich wieder über den Mund. »Was singen wir denn?« flüsterte er an Schmidts Ohr.
    »Lied 394 … jetzt kommt die vierte Strophe.«
    »Danke –«
    Heckroth bahnte sich den Weg zurück zum Seitenschiff und legte Monika den Arm um die Schulter wie ein Vater seiner ältesten Tochter.
    »Es ist alles gut –«, sagte er und nickte dabei ein paarmal. »Er sieht offiziell nichts.« Seine Brust hob sich, er schlug das Gesangbuch auf und suchte das Lied 394. »Und nun kann es Weihnachten werden –«, meinte er, holte tief Luft und begann, in die vierte Strophe einzufallen, laut, mit einer etwas krähenden Stimme, aber gläubig und herrlich leicht vor Freude.
    Über Kirche, Moor und Heide fiel der Schnee. Die Nacht wurde lautlos und die Unendlichkeit vollkommen.
    Weihnachten.
    Pfeifen-Willi saß auf dem Bett und grollte. Draußen läuteten die Glocken, im Radio spielte man Weihnachtslieder, und Lotte Marchinski saß mit langhingestreckten Beinen im Sessel, lallte und war besoffen.
    »Weihnachten!« schrie sie plötzlich und tat dabei einen fetten Rülpser, »det macht mir imma melancholisch! Keener holt mir, keener zahlt auch nur 'nen Groschen … alle sind se wie die Heeligen, selbst de Stammkunden, die sitzen unterm Baum und singen Halleluja! Nee, ick besauf mir weiter –«
    Pfeifen-Willi schwieg. Er hatte es satt. Nicht arbeiten und doch leben, das ist zwar ein schönes Leben, frei nach Schiller: Ein freies Leben führen wir … aber an der Seite von Lottes welkem Körper und nachts angehaucht von ihrem säuerlichen Atem, der manchmal wie Verwesung stank, hatte er entdeckt, daß es besser sei, ab und zu was zu tun und nach der ihm angeborenen Ästhetik zu leben, als weiterhin sich von Lottes magerem Hurenlohn aushalten zu lassen.
    Auch ihn machte Weihnachten melancholisch. Weihnachten ist der Tag, an dem man Kindheitserinnerungen aufwärmt, und oft ist das eine Speise, an der man herumwürgt, weil sich einem die Kehle zuschnürt bei dem Erkennen, was einmal war und was man im Laufe der Jahre geworden war. Auch Willi war einmal ein netter Junge gewesen, der an den Weihnachtsmann geglaubt hatte und mit hellen Augen in die Kerzen starrte. Nun hockte er auf einem ungemachten, zerwühlten, dreckigen, stinkenden Bett, hatte Ekel in der Kehle und vor sich den Anblick der halbnackten, besoffenen Lotte Marchinski, die immer noch darüber klagte, daß am Heiligen Abend die Männer ausblieben.
    »Halt die Fresse, Drecksau!« sagte Willi leidenschaftslos. Dann stand er von seinem Bett auf, machte zwei Schritte und knallte zwei Ohrfeigen an die Backen Lottes. Sie nahm es ihm nicht übel, sie grunzte nur, starrte ihn aus wäßrigen, stieren Augen an, hob die Hand und winkte mit krummen Fingern.
    »Gib mir noch 'n Kümmel, Süßer –«
    Bevor Pfeifen-Willi mit einem unanständigen Satz antworten konnte, fiel sie aus dem Sessel und lag auf dem Teppich. Ein Häufchen Kleider, Knochen, Haut und fahles Fleisch.
    Pfeifen-Willi zögerte. Es ist schon ein großer Schritt, wenn man vom Nichtstun zur Arbeit überwechselt. Er erkannte es mit einem kalten Schrecken, aber der Anblick Lottes auf dem Teppich und die Gewißheit, daß sie nachher wieder zu ihm ins Bett kroch, überwanden alle unangenehmen Gedanken an Arbeit.
    Er packte seinen Koffer, rasierte sich noch einmal, suchte im Kleiderschrank, unter der Wäsche Lotte Marchinskis, nach deren Ersparnissen, fand 300 DM, war mit ihnen zufrieden und verließ auf Zehenspitzen die Wohnung, als sei er gerade von einer Bescherung gekommen.
    Dann stand er auf der Straße, wußte nicht wohin, ob rechts oder links, entschied sich für links, weil dort der nächste Weg zur Luisenstraße war, in der in Nr. 67 Marianne wohnte, ein Mädchen, das einmal zu ihm gesagt hatte: Zu mir kannste immer kommen, auch bei Vollmond! Das wollte er nun versuchen, obwohl nicht Vollmond war sondern Weihnachten.
    Dieser Gedanke beschäftigte sein aufgeregtes Innere. Ich werde mich ihr zu Weihnachten schenken, dachte er zufrieden. Und nach den Feiertagen fahre ich hinaus ins Moor. Ich muß Hilde einfach wiedersehen … es ist doch merkwürdig, daß es auch in der Liebe Traditionen gibt –
    Weihnachten.
    Um den

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