Mädchen im Moor
einmal das Telefon bei Dr. Schmidt. Dr. Röhrig saß noch immer herum; er wußte, daß er seinen Freund nicht allein lassen durfte. Wenn er auch nicht helfen konnte … das Gefühl, einen Menschen um sich zu haben und nicht völlig einsam zu sein, war in diesen Stunden von einem unbezahlbaren Wert.
Dr. Schmidt legte den Hörer langsam zurück auf die Gabel.
»Wer war das?« fragte Dr. Röhrig.
»Das Ministerium.«
»Jetzt? Um diese Zeit?«
»Dr. Fugger. Er kommt morgen mit der Kommission.« Dr. Schmidt ließ sich in den Sessel fallen und legte den Kopf erschöpft weit zurück in den Nacken. »Sie haben es sehr eilig … wie die Geier, die über den noch zuckenden Körper herfallen und ihn zerreißen …«
Die Kommission unter Ministerialdirektor Dr. Fugger war zunächst sehr zahm und höflich. Dr. Schmidt führte die Herren durch alle Gebäude, zeigte die Zimmer, die Küche, den Speise- und Theatersaal, die Stallungen, das Revier; er führte einige Mädchen vor und zwar von zwei Extremen … Monika Busse und Käthe Wollop … er erklärte anhand von Tabellen und Berichten die Fortschritte und die Arbeitsweise von Wildmoor, zeigte auf einer Moorkarte die Stellen des Arbeitseinsatzes und ging mit den Herren durch eine Ausstellung von Handarbeiten, Schnitzereien und Tonplastiken, die die Mädchen in den Freizeitstunden angefertigt hatten.
Einer der Herren zeigte sich sehr verwundert.
»Sie geben den Mädchen Schnitzmesser in die Hand?«
»Natürlich«, antwortete Dr. Schmidt.
Der Herr vom Ministerium fand das gar nicht natürlich, aber er schwieg noch. Nur Dr. Fugger lächelte vor sich hin. Wenn keine langen Reden ein Charakteristikum Dr. Schmidts abgaben … dieses ›natürlich‹ zeigte ihn besser als alle Analysen. Für einen Beamten ist etwas Abseitiges nie natürlich!
»Erstaunlich, wirklich erstaunlich …«, sagte Dr. Fugger deshalb, als die Besichtigung beendet war und man im Büro Dr. Schmidts zur Besprechung zusammensaß, Kaffee trank und sich von zwei Häftlingen bedienen ließ, was wortlos, aber mißbilligend aufgenommen wurde. »Man könnte denken, nicht in einer Haftanstalt, sondern in einem Mädchenpensionat zu sein –«
Die Einstellung Dr. Fuggers war mit dieser Bemerkung bereits endgültig umrissen. Die anderen Herren nickten beifällig. Sie waren im Dienstrang niedriger als Dr. Fugger und nach dem ungeschriebenen Beamten-Karriere-Kodex verpflichtet, zu nicken. Es wäre undenkbar gewesen, wenn jemand noch eine andere Meinung als Dr. Fugger geäußert hätte.
Mitleidig sah Dr. Schmidt auf die fünf dunkel gekleideten Nickemänner. Was kann ich hier noch erwarten, dachte er. Es ist doch sinnlos, überhaupt noch einen Ton zu sagen. Man sollte seinen Hut nehmen, ›Adieu, meine Herren‹ sagen und gehen. Jedes weitere Wort war Verschwendung … man konnte es auch gegen den Mond rufen oder einem Hund ins Ohr flüstern. Dort würde es vielleicht noch ein Schwanzwedeln erwecken …
»Das ist es auch!« sagte Dr. Schmidt ruhig.
Dr. Fugger hob die Augenbrauen.
»Ein Hotel für straffällige Mädchen auf Kosten des Staates? Lieber Herr Dr. Schmidt … das ist ja Betrug am deutschen Steuerzahler!«
»Er kostet keine zweieinhalb Milliarden wie die Entwicklungshilfe –«
Dr. Fugger bekam einen hochroten Kopf. Der Mann ist ja ein Kommunist, dachte er. Wirklich, der Mann ist gefährlich. Das haben wir ja gar nicht gewußt und erkannt. Jetzt läßt er die Maske fallen! Es wäre nicht verwunderlich, wenn der Mann sogar Ostkontakte hat! Man sollte nachforschen, ob er eine Großmutter in der Zone hat oder sonstige Verwandte …
»Bitte, bleiben Sie beim Thema!« sagte Dr. Fugger steif. »Wir sind Juristen, keine Wirtschaftler! Uns geht es um das Problem des Strafvollzuges und was Sie daraus mit den Steuergroschen gemacht haben! Und das ist zweckentfremdet! Stellen wir dies zunächst in aller Klarheit fest. Wenn jemand zwei Jahre Gefängnis hat, so bedeutet das nicht zwei Jahre Kuraufenthalt! Auch wenn er ein sogenannter ›Heranwachsender‹ ist! Ich halte überhaupt herzlich wenig von diesem Unterscheidungsblödsinn! Ein Verbrecher ist ein Verbrecher, ob er hundert Jahre alt ist oder siebzehn! Er stellt sich außerhalb unserer sozialen Ordnung … also muß er es merken und dafür bestraft werden! Mit aller Härte, meine Herren, und nicht mit Lippenstift und Seidenstrümpfen, Fernsehabenden und fröhlicher Bastelrunde. Wo kommen wir denn hin?!«
Die Herren nickten wieder. Der Fugger ist ein
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