Mädchen im Moor
scharfer Hund, dachten sie beifällig. Man merkt immer noch die gute Schule des Reichsjustizministeriums unter Staatssekretär Dr. Freisler. Es geht eben nichts über einschlägige Erfahrung …
»Wir kommen zu einer neuen Jugend …«, sagte Dr. Schmidt, obwohl er keine Antwort mehr geben wollte. Die nickenden Männer in Schwarz reizten ihn maßlos. Dr. Fugger hieb mit der flachen Hand auf den runden Tisch.
»Mit Nietenhosen und engen Pullovern, was?!«
»Jede Zeit schafft sich ihr eigenes äußerliches Erscheinungsbild. Im alten Ägypten ging man brustfrei und …«
»Lassen Sie die dummen Scherze, Herr Regierungsrat!« rief Dr. Fugger aufgebracht. »Sie verkennen anscheinend den Ernst der Situation!«
»Ich bin mir der Situation voll bewußt.« Dr. Schmidt überblickte die dunkle Runde. Er selbst stand neben dem Tisch, wie ein Primaner, der vor seinen Professoren im Examen steht und sie entsetzt durch mehr Wissen, als gefordert wird. Wer erträgt es gern, geistloser zu sein als sein Schüler?
»Sie wissen, daß Ihr Wildmoor ein Experiment ist, das unter größten Vorbehalten genehmigt wurde?«
»Ja.«
»Bei Experimenten solcher Art ist es erwünscht, daß die Anonymität völlig gewahrt bleibt. Erst wenn man hundertprozentige Erfolge vorweisen kann, ist es ratsam, an die Öffentlichkeit zu treten. Aber vorher ins Schußfeld der Presse zu kommen, ist eine Katastrophe. Diese Katastrophe ist nun da! Uns liegen bereits ausländische Stimmen vor, die unverhohlen von Schadenfreude triefen. Das Schlimmste ist, daß niemand weiß, was eigentlich los ist. Die einen schreiben von Ausbeutung der Mädchen im Moor, die anderen vom Twist im gestreiften Kittel. Wir wissen, meine Herren, daß alles Quatsch ist … aber die Öffentlichkeit frißt es, Halbheiten bleiben hängen, auf die Regierung wird geschimpft … und das gerade jetzt, vor der Wahl! Das ist unmöglich! Wildmoor wird dadurch nicht nur ein juristisches Problem, sondern auch ein heißes Politikum!«
Dr. Schmidt senkte kampfeslustig den Kopf. »Sollen meine Mädchen unter der Hysterie deutscher Politiker leiden?« fragte er.
Die schwarzen Herren erstarrten. Dr. Fugger sah Dr. Schmidt an, als habe ein Irrer geblökt. ›Hysterie deutscher Politiker‹, dachte er. ›Der Mann redet sich um seine ganze Karriere. Wenn ich diesen Ausspruch wörtlich melde, wird dieser Dr. Schmidt untragbar in unserer Demokratie!‹
»Sie sind übermäßig erregt, Herr Dr. Schmidt …«, sagte Fugger atemlos. Dr. Schmidt schüttelte den Kopf.
»Ich bin völlig ruhig, Herr Ministerialdirektor.«
»Wir hatten gestern noch eine lange Besprechung.« Dr. Fugger breitete einige Papiere aus. »Es ging darum, die Insassen von Wildmoor auf die einzelnen Jugendstrafanstalten zu verteilen. Im Augenblick ist das unmöglich. Alles ist überfüllt. Die einzelnen Strafanstalten weigern sich energisch, neue Strafgefangene aufzunehmen. Wir müssen also Wildmoor vorläufig als ein Provisorium belassen …«
»Sie … Sie wollen Wildmoor ganz auflösen?« fragte Dr. Schmidt rauh.
»Aber ja! Das heißt, in seiner jetzigen Form! Es werden einige bauliche Veränderungen vorgenommen, und dann wird die Pressestelle des Ministeriums an die großen Blätter einen Bildbericht durchgeben, wie man in Wildmoor nach modernen Gesichtspunkten gefallene Mädchen bessert. Saubere Zellen, gutes Essen, ärztliche Betreuung, Gemeinschaftsabende, Gartenarbeit … es wird ein Mustergefängnis werden, ohne den fatalen Anstrich eines Kurhotels. Wo gibt es denn so was: ein Speisesaal mit Bedienung. Fehlt nur noch der Tanz!«
»Auch den haben wir«, sagte Dr. Schmidt und freute sich über das blanke Entsetzen der vier schwarzen Herren, die hilfesuchend auf Dr. Fugger sahen. »Wenn Sie meine Berichte genau gelesen haben, meine Herren … zweimal im Monat haben wir abends von zwanzig bis zweiundzwanzig Uhr einen Tanzabend. Da wird gejazzt, getwistet, gewalzt … Sie sollten einmal erleben, wie glücklich die Mädchen sind …«
»Wie glücklich! Strafgefangene und glücklich!« Dr. Fugger mußte eine Tasse Kaffee trinken, um seine Empörung herunterzuspülen. »Sagen Sie bloß, Sie laden auch noch die Bauernburschen der Umgebung dazu ein.«
»Das allerdings nicht. Ich nehme an, daß der Herr Ministerialdirektor sich bewußt ist, daß ich die Grenzen genau kenne.«
»Wo ist hier noch eine Grenze?« Dr. Fugger erhob sich. Die anderen vier Herren schnellten gleichfalls hoch. Es war unmöglich zu sitzen, wenn der
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