Mädchen im Moor
Telefon und legte die Hand auf den Hörer. »Ich kann Monika noch etwas zurückhalten, wenn wir uns noch über dieses Problem unterhalten wollen.«
»Bitte nicht. Lassen Sie Moni kommen.« Dr. Spieß legte die Hände zusammen und stützte das Kinn auf die Fingerspitzen. »Ich weiß, daß sich Monika genau daran erinnert, wie sie mich, den Jurastudenten, als Mädchen angehimmelt hat. Ich habe es bemerkt, zugegeben, aber ich war damals zu erhaben über die kleine Monika, die gerade begann, weibliche Formen zu zeigen und schlaksig herumstiefelte. Ich weiß noch, wie wir uns an einem Eisstand trafen und wie sie puterrot wurde, als ich ihr ein Eis am Stiel für fünfzig Pfennig schenkte. Fast hätte sie es mir ins Gesicht geworfen, so beleidigt war sie, daß ich in ihr noch das Kind sah, dem man ein Eis schenken kann, und nicht die junge Dame, die man zu einem Eis einlädt. Dann kamen die Examina, ich hatte andere Sorgen, ich verlor sie aus den Augen. Es war die Zeit, in der sie Rolf Arberg kennenlernte, in der man ihre erwachte Liebessehnsucht schamlos ausnützte und sie dann fallen ließ, als sie ausgebeutet war.« Dr. Spieß sah Dr. Schmidt groß und fast bittend an. »Seien Sie ehrlich, Herr Regierungsrat: Zwischen damals und heute liegt das Intermezzo ihres Erwachens, aber im tiefsten Innern ist diese kindliche Liebe nicht zerrissen worden.«
»Ich würde nicht so sicher mit psychologischen Hypothesen sein.« Dr. Schmidt blickte hinab in den Hof. Monika Busse kam in ihrem Sonntagskleid aus dem Block eins. Sie hatte die blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengefaßt. In der Sonne leuchtete ihr Kopf wie mit Gold belegt. Sie sah rührend jung und unschuldig aus. Das geblümte Kleid wippte um ihre schlanken Beine, sie trug hochhackige Schuhe und helle Perlonstrümpfe. In der Mitte des Hofes blieb sie stehen und starrte zum Fenster des Chefzimmers hinauf. Dr. Schmidt trat etwas zurück, damit er nicht gesehen werden konnte, und winkte. Dr. Spieß trat neben ihn.
»Ihre Frau –«, sagte der Regierungsrat.
»Sie sagen das so sarkastisch.«
»Sie müssen zugeben, daß das eine äußerst makabre Situation ist. Durch die Weltpresse ging einmal die Nachricht, daß eine Anwältin einen begnadigten Mörder heiratete. Man – das heißt, die gesunde Volksmeinung – bezeichnete sie als wunderlich, ja als verrückt.«
»Sie halten mich also auch für verrückt?«
»Nein. Aber ich halte Sie für sehr leichtsinnig. Zu welchen Konsequenzen werden Sie finden, wenn Monika gleich ein klares Nein sagt?«
»Auch das habe ich mir überlegt. Ich werde warten.«
»Und wie lange?«
»Bis sie entlassen ist. Ich werde sie dann abholen und mich um sie kümmern.«
»Ein guter Weg. Und warum wollen Sie dann jetzt aus der Strafanstalt heraus Monika heiraten?«
»Um ihr die Stärke zu geben, das Jahr durchzuhalten.«
»Also doch Mitleid.«
»Im Grunde ist jede Liebe eingebettet in Mitleid.«
Unten betrat Monika das Verwaltungsgebäude von Wildmoor. Sie traf im Flur auf Hilde Marchinski, die die Steinplatten mit Schmierseife schrubbte und dazu leise vor sich hin pfiff.
»Piekfein, mein Süßes!« sagte Hilde und stützte sich auf den Schrubber. »Hast Besuch oben.«
Monika nickte. Die Erregung drückte ihr die Kehle zu. »Wer … wer ist es denn?« fragte sie tonlos. »Mein Vater? Mutter vielleicht?«
»Nee, 'n netter, junger Mann. So, wie du's beschrieben hast, muß es dein Anwalt sein. Fescher Kerl, Moni! Wenn den die Käthe als Anwalt hätte, würde die ihn in Naturalien bezahlen.«
»Dr. Spieß?« Ein enttäuschter Ausruf. Monika sah an ihrem Sonntagskleid herunter. Warum das alles, dachte sie. Warum diese Feiertagsfetzen? Er wird gekommen sein, um mir mitzuteilen, daß ich begnadigt bin. Ein halbes Jahr auf Bewährung ausgesetzt. Was soll das? Zu Hause wird man mich wie eine Aussätzige behandeln, ich werde arbeiten, essen und schlafen, und man wird es gnädig dulden, daß ich an einem Tisch mit ihnen sitze, das gleiche Fernsehprogramm wie sie sehe, in einem ihrer Betten liege. Die Nachbarn werden mich scheel ansehen, die Freundinnen nur der Neugier wegen kommen, die Jungs mich eine dufte Biene nennen und versuchen, aus mir ihr Bäumchen-wechsle-dich zu machen! Ich werde mich verkriechen müssen wie eine Aussätzige. Was soll ich in der sogenannten Freiheit? Hier in Wildmoor habe ich jetzt eine Heimat. Und wenn das Jahr herum ist, gehe ich zu Fiedje Heckroth und helfe seiner Frau auf dem Moorhof. Es ist schon alles
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