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Mädchen im Moor

Mädchen im Moor

Titel: Mädchen im Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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besprochen und klar gemacht. Ich kehre nicht in die Welt zurück, die mich ausgestoßen hat.
    »Ich denke, du hast 'ne Schwäche für deinen Anwalt, Moni?« sagte Hilde und klapperte mit dem Schrubber.
    »Quatsch!«
    »Du hast mir mal gesagt, nachts, als du stundenlang geheult hast und ich auf deinem Bett saß – ich weiß genau, du warst gerade drei Wochen hier – daß du diesen Doktor gern hast. Schon als Kind! Verdammt, ich bin doch nicht blöd! Du hast gesagt: Wenn er mich an den Zöpfen zog, war ich so glücklich, daß er mich hätte aufhängen können. Ich hätte nichts gesagt. – Und ich habe gesagt: Du bist ja blöd! Jetzt biste erst mal ein Jahr trockengelegt. Erinnerst du dich noch?«
    Monika schwieg. Sie erinnerte sich gut daran, aber sie zwang sich zu der Erkenntnis: Das ist alles vorbei! Das war eine Vergangenheit, vor der ich hier in Wildmoor begraben wurde. Die Gegenwart ist ein neuer Aufbau, und es wird eine ganz andere Monika Busse sein, die nach einem Jahr in das Moorhaus Fiedje Heckroths einzieht. Sie wird noch Busse heißen, aber das wird nur noch ein Name sein, ein letzter, nicht ablegbarer Rest einer Zeit, die von Jahr zu Jahr höher mit dem Wall des Vergessens zugeschüttet wurde. Auch ein Dr. Spieß gehörte dazu. Er lebte in einer Welt, die nicht mehr die ihre war.
    »Mensch, geh rauf!« sagte Hilde Marchinski und gab dem Paket Schmierseife einen Tritt. Es rutschte über die Steinplatten und klatschte gegen die Fußleiste. »Wenn du den Chef so lange warten läßt, wird er sauer!« Sie beugte sich vor und spuckte Monika dreimal über die Schulter. »Viel Glück, Moni!«
    »Wozu?«
    »Zur Bewährungsfrist.«
    »Ich will sie nicht. Wenn sie mir Bewährung anbieten, werde ich sie ablehnen.«
    »Du hast wohl 'ne Macke, was?«
    »Willst du denn weg vom Wildmoor?«
    Hilde Marchinski wurde auf einmal still und verlor die kecke Haltung. Ihr Gesicht wurde von einer Sekunde zur anderen schrecklich alt.
    »Bei mir ist das etwas anderes«, sagte sie leise. »Ich habe da draußen nichts mehr. Ich kann nichts anderes mehr sein als eine Hure.«
    »Ich habe auch nicht mehr.«
    »Du hast eine vernünftige Mutter. Und du hast sogar einen Vater. Was habe ich?! Eine Mutter, die ein immer besoffenes Schwein ist, und meinen Vater habe ich nie gekannt. Die Auswahl derer, die in Frage kamen, war zu groß. Mensch, Moni, dieses eine Jahr Wildmoor – da kräht nachher keiner mehr danach. Heirate, krieg Kinder … und wenn dich einer mal fragt, wo du das Jahr warst, dann sagste: Im Sanatorium. Ich hatt's auf der Lunge. Der Arzt hat mir frische Luft verschrieben.«
    Monika hob die Schultern. Es war Hilflosigkeit und Abwehr zugleich. »Ich wünschte, ich könnte das alles so sehen wie du, Hilde«, sagte sie leise. »Am liebsten möchte ich gar nicht rauf gehen.«
    »Das würde Ärger geben. Geh lieber.«
    Monika Busse nickte und stieg die Treppe hinauf zum Chefbüro. An der Tür des Sekretariats wartete schon Fräulein Beinle, die Stenotypistin.
    »Wo bleiben Sie denn?« fragte sie tadelnd. »Der Chef wartet doch!«
    Sie schob Monika ins Büro, klopfte an die Tür Dr. Schmidts, klinkte sie auf und gab Monika einen Stups in den Rücken.
    Verkrampft, voller Abwehr betrat Monika Busse den großen Raum. Ich werde um mich kämpfen, dachte sie. Ich will nicht von Wildmoor weg! Ich will eine andere Straße in die Zukunft gehen, und die führt nicht mehr zurück, sondern weiter, weg – weit weg –
    Sie hob den Kopf und kniff die Lippen zusammen.
    Dr. Spieß kam ihr langsam entgegen.
    Sie standen sich gegenüber, kaum zwei Schritte voneinander entfernt und sahen sich groß an. Sie waren allein. Dr. Schmidt hatte durch den Privateingang das Zimmer verlassen. Er wollte nicht Zeuge einer Begegnung sein, die unter Umständen mit einer Niederlage endete.
    »Guten Tag, Moni –«, sagte Dr. Spieß. Die Zunge war ihm plötzlich schwer. Da hat man nun Rhetorik geübt, dachte er. Man hat vor den Gerichten verteidigt, man kann Plädoyers von Stundenlänge halten, man kann einen Prozeß zerreden und durch Worte gewinnen – aber hier, wo es darauf ankommt, das eigene Leben anzubieten, versage ich kläglich.
    »Guten Tag, Herr Dr. Spieß«, antwortete Monika mit dünner Stimme. Was hat er nur, dachte sie. Er sieht so feierlich aus. Ein dunkelblauer Anzug, silbergrauer Schlips, eine weiße Nelke im Knopfloch, eine Miene, als gehe er hinter einem Sarg her. Es kann nichts Erfreuliches sein, was er bringt – ein Mann, der eine gute

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