Mädchen im Schnee
Personen sollten ihr sagen, ob sie schon Windbeutel, das traditionelle Fastnachtsgebäck, gegessen hätten oder nicht. Dafür würde sie schon nicht so lange brauchen.
»Okay, du hast recht. Das machen wir.«
Während Jeanette die Farben zusammenmischte, nahm sich Magdalena eine Zeitung. Als Jeanette, nun in schwarzer Schürze, mit Schale und Pinsel zurückkehrte, legte Magdalena die Zeitung weg, obwohl sie gerade mitten in den Kinostarts vom nächsten Tag war.
Jeanette setzte sich rittlings auf einen hohen Hocker mit dreieckigem Sitz, zog sich einen Wagen heran und nahm ein Stück Folie heraus.
»Mal ehrlich, Magdalena, was hast du dir eigentlich dabei gedacht, wieder in dieses Kaff zu ziehen?«
Magdalena seufzte innerlich, lächelte Jeanette im Spie gel aber an. Wie oft würde sie ihren Entschluss noch recht fertigen müssen?
»Wahrscheinlich wollte ich zurück zur Verwandtschaft, zu der Ruhe hier.«
Jeanette legte das Folienstück unter eine lange Haarsträhne und begann mit hastigen Bewegungen die Farbe aufzupinseln.
»Ruhe? Grabesruhe würde ich das nennen.«
Sie faltete die Folie zu einem Paket und sah dann Magdalena im Spiegel an, ehe sie einen neuen Streifen Folie aus dem Wagen nahm.
»Ich würde alles tun, um mein Leben gegen das eintauschen zu können, das du hattest. Küsschen, Küsschen mit einflussreichen Leuten und Alkohol umsonst. Ich fände das perfekt.«
Magdalena lachte. Jeanettes Begeisterung steckte sie an.
»Das glaube ich sofort.«
Jeanette strich weiter Farbe auf, jetzt nicht mehr mit so aggressiven Bewegungen.
»Na, du wirst schon wissen, was du tust«, sagte sie, teilte mit dem Kammgriff ein paar neue Haarsträhnen ab und fuhr fort: »In zwei Jahren ist Sebastian mit der Schule fertig. Ich sage dir, Magda, dann haue ich ab.«
»Wohin?«
»Ins Ausland.«
»Ach ja?«, fragte Magdalena erstaunt. »Und was sagt dein Sohn, wenn seine Mutter verschwindet?«
»Das weiß er schon seit er vierzehn ist. Und wir haben auch schon viel darüber gesprochen. Er kommt schon klar.«
»Was hast du vor?«
»Ganz egal, nur nicht hier stehen, Strähnchen machen und zuschauen, wie die Jahre vergehen. In einer Bar in Australien jobben oder mich um Straßenkinder in Südamerika kümmern. Keine Ahnung. Hauptsache irgendwas anderes.«
Jeanette arbeitete schnell. Als an Magdalenas Kopf zahllose Folienpäckchen baumelten, sodass sie wie eine kleine Silbertanne aussah, rollte Jeanette die Trockenhaube heran.
»Jetzt kannst du dich ein bisschen von meinem Gequatsche ausruhen.«
Magdalena schloss die Augen und genoss die Wärme und den scharfen Farbgeruch. Sie sollte sich öfter selbst etwas gönnen und es mal etwas langsamer angehen lassen, jetzt, wo sie das schlimmste Umzugschaos hinter sich hatte. Vielleicht einen Yogakurs machen. Oder wieder schwimmen gehen. Tabletten allein würden auf lange Sicht nicht reichen.
Als die Sitzung unter der Trockenhaube beendet war und Jeanette die Farbe ausgewaschen hatte, betrachtete Magdalena das Ergebnis im Spiegel. Weil die Haare immer noch nass waren, konnte man nur schwer einen Unterschied feststellen, doch auf den ersten Blick sah es gut aus. Hell, fast ein wenig sommerlich.
Vorsichtig kämmte Jeanette das lange Haar aus.
»Wie viel darf ich abschneiden? Die Spitzen sind sehr dünn. Fünf Zentimeter?«
Sie maß mit Daumen und Zeigefinger.
»Das ist gut; ich vertraue dir.«
Jeanette hüpfte wieder auf den Hocker und fing an zu schneiden. Schnell war der Boden mit nassen Haarsträhnen bedeckt.
Wahrscheinlich findet sie mich langweilig, dachte Magdalena und musterte Jeanettes dichte, glatte Haarmähne. Oben kohlrabenschwarz, unten drunter platinblond. Wie eine Tigerente, dachte sie. Nicht mein Stil, aber auf jeden Fall mehr Ausdruck.
»Na, gefällt’s dir?«
Jeanette hielt den Handspiegel in verschiedenen Winkeln. Magdalena nickte.
»Superschön. Du kannst das wirklich gut.«
»Übung macht den Meister, sagt man«, antwortete Jeanette leicht sarkastisch. »Übrigens, willst du nicht am Samstag mit ins Florenz kommen? Lisa und ich treffen uns vorher bei mir.«
»Die Pizzeria?«
»Ja. Ante macht da manchmal den DJ , und dann kommen echt massenhaft Leute. Komm doch mit, Magda, das wird lustig.«
Magdalena zögerte.
»Ich weiß nicht …«
Jeanette nahm aus der Dose auf dem Tisch eine Visitenkarte, drehte sie um und schrieb etwas darauf.
»Denk mal drüber nach. Hier hast du meine Handynummer.«
Sie gab Magdalena die Karte.
»Ich überleg’s
Weitere Kostenlose Bücher