Mädchen im Schnee
mit einer Freundin hier aus Gustava bei einer Klassenkameradin in Hagfors feiern, aber das stimmte nicht. Es gab keine Party, es gibt nicht einmal eine Klassenkameradin mit dem Namen, den sie uns genannt hat. Wir haben sie immer wieder auf ihrem Handy angerufen und Nachrichten hinterlassen. Das ist alles völlig unbegreiflich.«
Petra machte Notizen.
»Wie alt ist sie?«
»Sechzehn, im April wird sie siebzehn. Natürlich hätten wir Sie schon längst anrufen sollen, aber wir haben irgendwie gedacht, es gäbe eine harmlose Erklärung.«
»Ist sie schon mal einfach so verschwunden?«, fragte Christer.
Er saß kerzengerade und hatte die Hände auf den Tisch gelegt.
Ernst schüttelte den Kopf.
»Nein, nein, eigentlich noch nie. Aber man will natürlich die Hoffnung nicht aufgeben.«
Christer nickte.
»Wie war Ihre Tochter denn in letzter Zeit so aufgelegt?«, fragte Petra und lockerte ihren Schal, ohne dabei Ernst Losjö aus dem Blick zu verlieren. »Hatten Sie Streit zu Hause? Hat sie sich mit einer Freundin gestritten?«
»Sie meinen, ehe sie verschwand?«
»Ja.«
»Eigentlich war sie den ganzen Herbst müde und schlecht gelaunt«, sagte der Vater und ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Die meiste Zeit ist sie in ihrem Zimmer geblieben.«
»Aber Sie hatten jetzt keinen aktuellen Streit?«
Losjö schüttelte den Kopf.
»Könnte es sein, dass sie depressiv ist?«, fragte Petra.
Er sah zur Decke und dachte nach.
»Das kommt häufiger vor, als man glaubt«, fuhr Christer fort, als keine Antwort kam.
»Ja, ich weiß. Ich bin Arzt«, sagte Losjö. »Aber warum ist man nicht genauso aufmerksam, was seine eigenen …«
»Sie sollten sich keine Vorwürfe machen«, sagte Petra. »Halbwüchsige können ganz schön schwierig sein. Die Dinge verändern sich manchmal sehr schnell, und als Eltern fällt es einem schwer, im selben Tempo mitzuhalten.«
»Haben Sie auch Kinder?«, fragte Ernst Losjö.
»Ja, zwei«, sagte Petra. »Vierzehn und siebzehn.«
Es wurde still in der Küche, nur noch das Brummen des Kühlschranks war zu hören.
»Glauben Sie, sie könnte sich etwas angetan haben?«, fragte Losjö plötzlich.
Weder Christer noch Petra wollten darauf antworten.
»Haben Sie das Haus gut durchsucht?«, fragte Christer stattdessen. »Den Keller, den Dachboden? Sie haben ja auch mehrere Schuppen.«
Heddas Vater nickte.
»Welche Kleidung trug sie, als sie verschwand?«, fragte Petra.
»Was sie genau anhatte, weiß ich nicht, aber wahrscheinlich Jeans, schwarze Stiefel und eine rote Daunenjacke. Fjällräven. Leider ist es absolut unwahrscheinlich, dass sie eine Mütze aufgehabt hat.« Ernst Losjö lächelte schief.
»Irgendwelche besonderen Kennzeichen?«, fuhr Christer fort.
»Was meinen Sie?«
»Narben, Tätowierungen, Muttermale?«
»Sie … Es ist nicht sicher, dass sie tot ist.«
»Natürlich nicht; das ist reine Routine«, sagte Christer und sah rasch zu Petra. »Wenn jemand verschwindet, dann sammeln wir so schnell wie möglich viele Informationen, um alle Fakten in einem überregionalen Register zusammenstellen zu können.«
Ernst Losjö holte tief Luft und sagte dann:
»Sie hatte ein paar größere Muttermale auf einem Schulterblatt, doch die habe ich vor ein paar Jahren von einem Kollegen wegmachen lassen, nachdem zwei von ihnen angefangen hatten, ihre Form zu verändern. Aber ich glaube nicht, dass man die Narben jetzt noch gut sieht.«
»Sonst noch etwas?«
»Nein … Obwohl doch, als sie drei oder vier Jahre alt war, ist sie einmal in eine zerbrochene Flasche getreten und musste mit fünf Stichen am rechten Fuß genäht werden. Oder war es der linke? Das ist schon so lange her. Auf jeden Fall war es auf Teneriffa, am zweiten Tag unseres Urlaubs. Damit war für sie mit dem Baden erst mal Schluss.«
»Zu welchem Zahnarzt geht sie?«
»Zum Bezirkszahnarzt. In Hagfors.«
Petra klappte den Block zu und sagte:
»Dürfen wir mal ihr Zimmer sehen?«
»Die Treppe hoch und dann die zweite Tür rechts«, sagte Ernst Losjö und zeigte hinauf. »Gehen Sie schon vor, ich seh mal, ob ich meine Frau wecken kann. Diese Ungewissheit setzt uns zu.«
Christer und Petra gingen eine geschwungene Treppe hoch und kamen in einen großen Flur mit einem Teppich in verschiedenen Blautönen. Christer erkannte das Muster von einem Dokumentarfilm auf dem Wissenschaftssender wieder. Hieß die Künstlerin nicht Nääs? Oder Måås. Märta Måås. Ihre Teppiche waren sehr vornehm, das hatte er noch in
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