Mädchen im Schnee
Waldrand schien sie aus seinen schwarzen Fensterscheiben anzustarren. Die Straßenlaterne am Parkplatz war kaputt.
Wie konnte Tore sich nur trauen, hier allein zu wohnen?
In zwei Fenstern der unteren Wohnung brannte Licht, das war wahrscheinlich Tores Wohnung. Hinter den herun tergezogenen Rollos der Wohnung darüber schien auch jemand zu wohnen. Sonst war das Haus völlig leer.
Jeanette hatte sich eine Daunenjacke um die Schultern gelegt, stand vor dem Eingang und rauchte.
»Wie traurig. Es tut mir so leid für dich«, sagte Magdalena und nahm Jeanette in den Arm. »Der gute Tore.«
»Ja, es ist gar nicht zu begreifen«, sagte Jeanette und schniefte. »Er war ja schon alt und hatte seit langem Herzprobleme. Ich hätte darauf gefasst sein sollen, aber als der mobile Pflegedienst angerufen hat, war das wirklich ein Schock.«
Magdalena und Jeanette gingen in Tores Wohnung und setzten sich an den Küchentisch.
»Willst du einen Tee, oder ein Brot?«, fragte Jeanette und rieb sich mit den Händen das Gesicht. »Oder hast du es eilig?«
»Nein, nein, ich nehme gern eine Tasse, wenn du sowieso welchen kochst.«
Während das Wasser aufkochte, stellte Jeanette Knäckebrot, Butter und Kaviarcreme auf den Tisch.
»Den kleinen Käse und die Milch habe ich leider schon weggeworfen. Dies ist die letzte Mahlzeit bei Großvater.«
Magdalena beobachtete durch das Fenster, wie im Dunkeln ein Auto auf den Parkplatz fuhr. Der Fahrer, in brauner Lederjacke und schwarzen Trainingshosen mit weißen Adidas-Streifen, stieg aus und machte die Hintertür auf. Drei junge Mädchen stiegen aus. Der Fahrer zeigte auf das Haus, und das Trio begann, sich auf den Eingang zuzubewegen.
»Wer ist das denn?«, fragte Magdalena. »Kennst du die?«
Jeanette warf einen flüchtigen Blick aus dem Fenster und schüttelte den Kopf.
Keines der jungen Mädchen hatte eine Winterjacke an, bemerkte Magdalena, während Jeanette den Tee aufgoss. Zwei trugen Kapuzenjacken und Jogginghosen, das dritte eine dunkelblaue Jeansjacke, einen kurzen Rock und haut farbene Nylonstrümpfe. Alle drei hatten Stoffschuhe an den Füßen.
»Das war ja sonderbar«, sagte sie.
Jeanette antwortete nicht, stellte nur den Topf auf den Herd zurück und setzte sich.
»Dann ist Tore also heute Nacht gestorben?«, fragte Magdalena.
»Ja, sie glauben, dass sein Herz einfach stehen geblieben ist. Auch wenn er allein war, ist es doch irgendwie gut, dass er so gestorben ist, einfach wie immer am Abend in seinen eigenen vier Wänden eingeschlafen.«
Magdalena nickte schweigend, doch der Gedanke an die drei Mädchen ließ sie nicht los.
Plötzlich hörte man von oben laute Männerstimmen. Sie verstummten so abrupt wieder, dass Jeanette irritiert war.
»Großvater hat gesagt, dass er von da oben oft Geschrei gehört hat«, sagte Jeanette. »Ich habe ihm gesagt, er solle die Polizei anrufen, wenn das nicht aufhört, aber ich glaube nicht, dass er das gemacht hat.«
»Was für ein Geschrei?«
»Er meinte, ein Paar würde sich streiten. Ja, ich weiß auch nicht. Aber er fand das jedenfalls unangenehm.«
»Hast du mal nachgeschaut, welcher Name an der Tür steht?«, fragte Magdalena.
Jeanette schüttelte den Kopf.
»Warte kurz. Ich bin gleich zurück.«
In Socken schlich Magdalena die Treppe hinauf.
An der Wohnungstür über der von Tore stand »G. LIND «. Von drinnen waren immer noch erregte Stimmen zu hören.
»G. Lind. Kennst du jemand, der so heißt?«, fragte Magdalena, als sie wieder am Küchentisch saß.
»Eigentlich nicht«, sagte Jeanette und fing an, in einem schwarzen Kalender zu blättern, der auf dem Küchentisch lag.
Plötzlich musste sie heftig weinen. Ihre Schultern zuckten, Magdalena beugte sich vor und strich ihr behutsam übers Haar.
Jeanette beruhigte sich wieder, riss ein Stück Haushaltspapier von der Rolle auf dem Tisch und schnäuzte sich.
»Was da oben wohl vor sich geht?«, sagte Magdalena.
Jeanette trocknete sich die Augen. Das schwarze Notizbuch hatte sie zugeklappt und beiseitegeschoben.
»Ich finde auch, dass mit diesen Mädchen irgendwas nicht stimmt. Ich würde mal vermuten, dass sie aus Russland kommen.«
Magdalena ging nicht darauf ein, sie musste stattdessen an den besonderen Geruch denken, der fast immer bei älteren Menschen zu Hause herrschte. Als würde das Leben selbst einen neuen Geruch annehmen, wenn es beschwerlicher und langsamer wurde.
Jeanette stand auf, spritzte Spülmittel in die Spüle und füllte sie zur Hälfte mit
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