Mädchen im Schnee
der Hand und dachte nach. Es musste gehen. Es musste einfach. Vielleicht war der Winkel falsch.
Gerade als sie die Gabel unter den Bettpfosten gelegt hatte, um den Haken weiter umzubiegen, hörte sie es: ein dumpfes Stöhnen, dann Schritte im Flur. Sonya kroch wieder unter die Decke. Sie hörte, wie Kosta die Toilettentür schloss.
Sie faltete die Hände. Lieber Gott, mach, dass er nicht merkt, dass der Schlüssel nicht mehr in der Tür steckt, mach, dass er den Schlüssel auf dem Fußboden nicht sieht. Bitte. Bitte. Lieber, lieber Gott …
Sie hörte Kosta auf der anderen Seite der Wand spülen. Dann wurde die Toilettentür aufgemacht. Schritte. Eins, zwei, drei, vier, fünf … Und dann ein Knarren, als Kosta sich wieder ins Bett legte. Sonya bekreuzigte sich.
Lange Zeit lag sie völlig reglos da. Erst, als sie aus Kostas Zimmer wieder Schnarchgeräusche hörte, wagte sie, sich aufzusetzen und nochmals zu versuchen, den Haken in eine andere Form zu bringen. Als sie am Ende zur Tür schlich, sah die Gabel wie ein großer Angelhaken aus.
Schon beim ersten Versuch merkte Sonya, wie der Haken im Schloss griff und das Schloss sich einmal herumdrehte. So leise sie konnte, drückte sie die Klinke herunter und machte die Tür auf, dabei atmete sie langsam durch den Mund. Dann schlich sie auf Zehenspitzen in den Flur hinaus. Durch das Küchenfenster fiel schwaches Licht von einer Straßenlaterne und warf ein Viereck auf den Fußboden im Flur. Die Tür zu Kostas Zimmer stand einen Spalt breit auf. Weiterhin war gleichmäßiges Schnarchen zu hören.
Jetzt musste sie nur noch die Schlüssel von der Wohnungstür finden. Wo konnten die sein?
An einem Garderobenhaken hing Kostas schwarze Lederjacke. Vorsichtig begann sie, die Taschen zu durchsuchen. Sie stieß auf zwei Kondomverpackungen und ein zusammengefaltetes Papier. Sonya drehte sich um und blieb stehen, den starren Blick auf Kostas Zimmertür gerichtet. Ich muss, dachte sie. Aber es dauerte lange, bis sie es über sich bringen konnte, hinzuschleichen und die Tür so weit aufzumachen, dass sie ins Zimmer schlüpfen konnte.
Kosta lag auf dem Rücken, den Mund halb geöffnet. Das T-Shirt war hochgerutscht und entblößte einen runden, weißen Bauch. Die schwarzen Jeans hatte er über die Bettkante geworfen.
Sonya ertastete die Hosentaschen. Der Schlüsselbund war mit seinen scharfen Kanten leicht auszumachen, Sonya hielt ihn, zwischen Daumen und Zeigefinger und fischte ihn heraus, während sie den schlafenden Kosta beobachtete. Wie kindlich er aussieht, wenn er schläft, dachte sie. Ungefährlich.
Sie hielt die Schlüssel fest und suchte noch nach der Brieftasche, die in der hinteren Tasche steckte. Widerwillig wandte sie den Blick von Kosta und blätterte durch das Geldscheinfach. Drei Scheine, auf denen eine 500 stand, steckte sie in ihre Jackentasche.
Da passierte es.
Der Schlüsselbund entglitt ihr.
Als er mit lautem Klirren aufschlug, warf sie sich am Fußende des Bettes zu Boden. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Kosta wurde wach und setzte sich im Bett auf.
Das hier ist nicht wirklich, dachte sie. Es ist nicht wirklich. Der Schlüsselbund lag unter dem Bett, einen halben Meter von Kostas Fersen entfernt. Sonya schloss die Augen. Doch anstellte der befürchteten Schritte hörte sie nur, wie Kosta hustete und sich wieder hinlegte.
Ein paar Minuten später atmete er wieder regelmäßig, aber Sonya wagte nicht, sich zu rühren. Erst als sie so lange Staub eingeatmet hatte, dass sie meinte, zu ersticken, streckte sie die Hand aus und nahm den Schlüsselbund. Dann erhob sie sich langsam und schlich aus dem Zimmer.
Am Bund befanden sich mehrere Schlüssel, und Sonya machte zwei Fehlversuche, ehe sie endlich den erwischte, der zu dem Sicherheitsschloss passte. Kaum ein Geräusch war zu hören, als sie den Schlüssel herumdrehte.
Dann öffnete sie die Tür.
Mein Gott, hatte die wirklich schon immer so geklungen? Das laute Kreischen der Angeln hallte von den Wänden im Treppenhaus wider.
Jetzt war keine Zeit mehr zum Nachdenken. So schnell sie konnte, machte sie die Tür hinter sich zu und rannte die Treppe hinunter.
Als sie die Eingangstür aufdrückte und die nächtliche Kälte im Gesicht brennen spürte, bekam sie es mit der Angst zutun. Wie kalt es war! Wo sollte sie hin? Wie weit würde sie kommen, ehe sie erfroren wäre?
Anstatt in die Nacht hinauszutreten, hielt sie die Tür fest, eilte dann zur nächsten Wohnungstür und klingelte dort.
Tore warf
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