Mädchen im Schnee
sich im Bett herum und seufzte. Das Bettzeug war schon zerwühlt und warm, und ihm war klar, dass er sich geschlagen geben und wieder aufstehen musste.
Er hievte die Beine über die Bettkante und schob die Füße in die Filzpantoffeln, die ordentlich aufgestellt vor dem Nachttisch warteten. Die Schlafanzughose schlotterte um seine dünnen Beine, als er über den Rollator gebeugt in die Küche schlurfte.
An der Wand tickte die Küchenuhr, sonst war alles still.
Tore lehnte sich ans Fenster und sah zum Himmel hoch. Es war vollkommen sternenklar. Über den Baumwipfeln im Hagforspark leuchtete der Große Wagen.
Eine Tasse Tee würde ihm vielleicht den Schlaf bringen können, überlegte Tore. So sollte es sein. Er holte einen kleinen Aluminiumtopf aus dem Schrank, ließ Wasser hineinlaufen und schaltete die Platte an. Als das Wasser kochte, nahm er eine Tasse und einen Teebeutel von denen, die er von Jeanette bekommen hatte. Zwar war das so ein Gesundheitskram, der »Ruhe und Harmonie« schenken sollte, und eigentlich glaubte er ja nicht an diesen Mist, aber er hatte ihr versprochen, es mal zu probieren.
Als das Wasser kochte, drehte er die Platte aus und füllte die Tasse.
In dem Augenblick klingelte es an der Tür.
Sonya drückte auf die Klingel und konnte drinnen das Summen hören. Als nichts geschah, drückte sie noch einmal.
»Bitte«, wisperte sie. »Bitte, jetzt mach schon auf.«
Sie hatte die Hand wieder gehoben, um noch einmal zu klingeln, als die Tür aufging, und der alte Mann, den sie so oft schon vom Fenster aus gesehen hatte, musterte sie.
»Hilfe, ich brauche Hilfe«, flüsterte sie und zeigte das Treppenhaus hinauf.
Der Alte sah sie verständnislos an, aber er wirkte nicht ängstlich, sondern eher erstaunt.
Endlich machte er einen Schritt zur Seite und ließ sie eintreten. In der Küche brannte Licht, und ein süßer Duft erfüllte die Wohnung.
»Danke«, sagte sie. »Danke.«
Als der Mann die Tür wieder zumachen wollte, sah Sonya, wie sich ein großer Fuß in den Türspalt schob. Im nächsten Augenblick wurde die Tür aufgestoßen. Der Alte ließ erschrocken die Klinke los, und Kosta stürmte in T-Shirt, Unterhosen und Schuhen an ihm vorbei in den Flur.
»Du kleine Hure!«, brüllte er und verpasste Sonya einen harten Faustschlag ins Gesicht.
Sie verlor das Gleichgewicht, stürzte und blieb auf dem Teppich liegen. Instinktiv machte sie sich klein und versuchte, den Kopf mit den Armen zu schützen.
Kostas Tritte hämmerten wie üblich willkürlich auf ihren Körper ein. Einer traf sie am Hinterkopf, einer ging ins Kreuz, mehrere ins die hochgezogenen Arme und das Gesicht.
Guter Gott …
Dann war der Hagel aus Tritten vorüber, und Sonya sah vorsichtig auf. Das Schlüsselbein fühlte sich gebrochen an, und eine Auge konnte sie nicht mehr öffnen.
Kosta hatte sich jetzt dem alten Mann zugewandt und drückte ihn gegen die Wand. Die Schlafanzugjacke war verrutscht und entblößte eine weiße Schulter. Ein nas ser Fleck breitete sich auf seiner karierten Flanellhose aus .
Kosta schrie den Alten an und starrte auf die Urinpfütze, in der er stand. Der Mann antwortete nicht, sondern rang nur nach Luft. Seine Lippen zitterten
Ich muss etwas tun, dachte Sonya. Vor einem kleinen Bord, das als Telefontisch diente, stand ein Hocker. Sie versuchte, dorthin zu robben.
»Und du bleibst still liegen«, zischte Kosta. »Wenn du dich rührst, schlage ich dich in Stücke.«
Der Versuch, sich zu bewegen, hatte sie so viel Anstrengung gekostet, dass ihr schlecht wurde. Der stechende Schmerz im Bein war kalt, der Rücken fühlte sich wie betäubt an. Jetzt weinte der alte Mann, und Tränen liefen über sein runzliges Gesicht.
Das hier ist auch meine Schuld. Alles ist meine Schuld.
Mit einem Mal schien der Raum dunkler zu werden und ihr Körper schwerer.
Kosta, der den Alten immer noch gegen die Wand drückte, sah sich suchend in der Wohnung um. Nach einem Blick in das Schlafzimmer des Mannes, wo eine kleine Wandlampe leuchtete, machte er plötzlich ein entschlossenes Gesicht.
Der Alte leistete keinen Widerstand, als Kosta ihn ins Schlafzimmer führte und ins Bett zwang, während er mit sanfter Stimme auf ihn einredete, als würde er ein kleines Kind ins Bett bringen.
Das Letzte, was Sonya sah, ehe sie in Ohnmacht fiel, war, wie Kosta ein Kissen nahm und es auf das Gesicht des Mannes drückte.
14
Magdalena schaltete den Motor aus und trat auf den schlecht geräumten Parkplatz. Das Mietshaus am
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