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Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Titel: Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Spark
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    Die Luke, die damals – als ein Mann ins Dachgeschoß des Clubs eingedrungen war, um ein Mädchen zu besuchen – auf irgendeine hysterische Anweisung hin zugemauert worden war, widerstand keineswegs den Hacken der Feuerwehr. Es war alles eine Frage der Zeit.
    Zeit war keine wichtige oder gegenwärtige Realität für die dreizehn Mädchen des May of Teck Club, die zusammen mit Tilly Throvis-Mew in den oberen Stockwerken des Gebäudes zurückgeblieben waren, als nach der Explosion im Garten das Feuer im Hause ausbrach. Ein großer Teil der absolut sicheren Feuerleiter, die in den immer wieder beim Abendessen verlesenen Vorschriften für das Verhalten bei Gefahr eine so wichtige Rolle gespielt hatte, lag nun in Zickzackfragmenten zwischen den Erdhaufen und dem herausgerissenen Wurzelwerk im Garten.
    Zeit – für die Zuschauer auf der Straße und die Feuerwehrleute auf dem Dach ein sehr gegenwärtiger, vorwärtsstürmender Feind – war für die Mädchen nur etwas ganz Fernes, Halbvergessenes. Denn sie waren nicht nur von der Gewalt der Explosion betäubt. Auch alle vertrauten Erscheinungen waren, als sie zu sich kamen und umherblickten, plötzlich verrückt. Von der Hinterwand des Hauses ragte nur noch ein Mauerstumpf in den Himmel. Dort, 1945, waren sie so weit entfernt von dem kleinen Faktum Zeit wie schwerelose Insassen einer Weltraumrakete. Jane stand auf, rannte in ihr Zimmer, schnappte sich mit animalischem Instinkt eine Tafel Schokolade, die auf dem Tisch liegengeblieben war und schlang sie gierig hinunter. Die Süßigkeit half ihr auf die Beine. Sie wandte sich den Waschräumen zu, wo Tilly, Anne und Selina langsam auf die Füße kamen. Vom Dach her kamen Rufe. Ein unkenntliches Gesicht sah zum Fensterspalt herein und eine große Hand riß den losen Rahmen weg.
    Aber das Feuer breitete sich bereits, heraldische Rauchfiguren vor sich hertreibend, im Hauptaufgang aus, und die Flammen züngelten am Treppengeländer hoch.
    Die Mädchen, die im Augenblick der Explosion auf ihren Zimmern im zweiten und dritten Stock gewesen waren, hatten einen geringeren Schock erlitten als die ganz oben im Haus, denn dort hatte ein Bombeneinschlag in der ersten Zeit des Krieges indirekt ernsten Schaden im Mauerwerk angerichtet. Die Mädchen im zweiten und dritten Stock hatten Schnittwunden und Quetschungen, aber sie waren weitaus mehr vom Knall der Explosion als von der Erschütterung des Hauses betäubt.
    Einige der Schlafsaal-Mädchen im zweiten Stock hatten schnell genug reagiert und waren in der Pause zwischen der Explosion und dem Ausbruch des Feuers die Treppe hinunter und auf die Straße hinausgelaufen. Die übrigen zehn trafen bei ihrem Versuch, auf dem gleichen Wege zu entkommen, schon auf das Feuer und zogen sich nach oben zurück.
    Joanna und Nancy Riddle hatten nach der Rezitationsstunde noch vor Joannas Tür gestanden, als der Blindgänger hochging und waren so von den Glassplittern der Fensterscheiben verschont geblieben. Joanna hatte allerdings eine Schnittwunde an der Hand von dem Glas eines Reiseweckers, den sie gerade aufgezogen hatte. Joanna war es auch, die, als die Clubmitglieder beim Anblick des Feuers aufschrien, als letzte aufschrie und dann rief: «Die Feuerleiter!» Pauline Fox floh hinter ihr her und die anderen folgten durch die Korridore des zweiten Stocks und die enge Hintertreppe hinauf zu dem Durchgang im dritten Stock, wo sich der Notausstieg befunden hatte. Hier führte jetzt eine Plattform in den sommerlichen Abendhimmel hinaus, die Wand war weggebrochen und mit ihr die Feuerleiter. Gips bröckelte von den Ziegeln auf die zehn Frauen hinunter, die sich auf dem Flur zusammendrängten, wo einst der Notausstieg gewesen war. Sie suchten noch immer verwirrt nach der Plattform der Feuerleiter. Die Feuerwehrleute riefen ihnen etwas aus dem Garten zu. Auch aus der Richtung des Flachdaches über ihnen kamen Stimmen, und schließlich befahl ihnen durch den Lautsprecher eine deutliche Stimme, zurückzutreten, weil das Stück des Flurs, auf dem sie standen, sonst einzustürzen drohe.
    «Gehen Sie in den obersten Stock», sagte die Stimme.
    «Jack wird sich wundern, was mir passiert ist», sagte Pauline Fox. Sie stieg als erste die Hintertreppe hinauf zu den Waschräumen, wo Anne, Selina, Jane und Tilly sich inzwischen aufgerafft und auf die Nachricht vom Feuer hin wieder gefaßt hatten. Selina zog ihren Rock aus.
    Über ihren Köpfen in der schräg abfallenden Decke ließ sich das große Viereck der

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