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Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Titel: Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Spark
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keine Autoritätsperson zur Unzeit nach oben gelockt würde.
    «Wer ist es denn?» wiederholte Jane.
    «Tilly – leider», sagte Anne.
    «Tilly!»
    «Sie hat unten gewartet, und wir haben sie zum Spaß mit nach oben genommen. Sie sagte, hier im Club sei es immer, als wäre man wieder in der Schule. Und da hat ihr Selina das Fenster gezeigt. Aber sie ist genau einen Zentimeter zu dick. Kannst du sie nicht zum Schweigen bringen?»
    Jane sprach Tilly sanft zu. «Jedesmal, wenn du schreist», sagte sie, «schwillst du an. Verhalte dich ruhig, dann werden wir dich mit nasser Seife schon herauskriegen.»
    Tilly wurde ruhiger. Sie arbeiteten weitere zehn Minuten, aber sie hing nach wie vor unverändert mit den Hüften fest. Tilly weinte. «Hol George», verlangte sie schließlich. «Ruf ihn an!»
    Niemand mochte George holen. Er würde heraufkommen müssen. Aber Ärzte waren die einzigen männlichen Wesen, die man die Treppe hinaufließ, und dann auch nur in Begleitung einer Respektsperson.
    «Schön, ich werde jemanden holen», sagte Jane. Sie dachte an Nicholas. Er konnte vom Hauptquartier des Nachrichtendienstes aus auf das Dach steigen. Ein kräftiger Stoß von dort aus würde Tilly möglicherweise befreien. Nicholas hatte ohnehin die Absicht gehabt, nach dem Abendessen in den Club zu kommen, um den Vortrag anzuhören und, in einem Anfall eifersüchtiger Neugierde, die Frau von Selinas einstigem Liebhaber zu begutachten. Felix sollte auch zugegen sein.
    Jane entschloß sich, Nicholas anzurufen und ihn zu bitten, sofort herüberzukommen und Tilly zu helfen. Er könnte dann im Club zu Abend essen – das zweite Mal in dieser Woche, überlegte sie. Er würde jetzt von der Arbeit zurück sein, gewöhnlich kam er gegen sechs Uhr nach Hause.
    «Wie spät ist es?» fragte Jane.
    Tilly weinte derart, daß man jeden Augenblick einen weiteren Schreikrampf bei ihr befürchten mußte.
    «Gleich sechs», sagte Anne.
    Selina sah prüfend auf die Uhr und ging dann in ihr Zimmer hinüber.
    «Laß sie nicht allein», sagte Jane, «ich hole Hilfe.» Selina öffnete die Tür zu ihrem Zimmer, Anne hielt Tillys Fußgelenke fest. Auf dem nächsten Treppenabsatz vernahm Jane Selinas Stimme:
    «Gelassenheit ist vollkommenes Gleichgewicht, die Übereinstimmung …»
    Jane lachte wie närrisch vor sich hin und ging zu den Telefonzellen hinunter, als die Uhr in der Halle sechs schlug.
     
     
    Es schlug sechs am Abend jenes 27. Juli. Nicholas war gerade nach Hause gekommen. Als er von Tillys Mißgeschick hörte, versprach er bereitwillig, sofort zum Hauptquartier des Nachrichtendienstes zu fahren und auf das Dach zu steigen.
    «Es ist kein Witz», sagte Jane.
    «Ich habe auch nicht behauptet, daß es einer ist.»
    «Du scheinst dich aber darüber zu amüsieren. Beeil dich, Tilly weint sich die Augen aus.»
    «Sie hat allen Grund, wo doch Labour gesiegt hat.»
    «Ach was, beeil dich. Wir werden alle Ärger haben, wenn …»
    Er hatte bereits aufgelegt.
    Zu dieser Stunde kam Greggie vom Garten herein und machte sich in der Halle zu schaffen, während sie auf die Ankunft von Mrs. Dobell wartete, die nach dem Abendessen sprechen sollte. Greggie wollte sie ins Wohnzimmer der Clubleiterin führen und dort mit ihr einen trockenen Sherry trinken, bis die Glocke zum Abendessen ertönte. Greggie hoffte auch, Mrs. Dobell dazu zu bringen, daß sie noch vor dem Abendessen mit ihr einen Gang durch den Garten machen würde. Ein ferner Angstschrei drang aus dem Treppenhaus herunter.
    «Nein, wirklich», sagte Greggie zu Jane, die aus der Telefonzelle auftauchte, «dieser Club ist sehr heruntergekommen. Was sollen Besucher denken? Wer schreit denn da so im obersten Stock? So muß es geklungen haben, als dieses Haus noch in Privatbesitz war. Ihr Mädchen benehmt euch genauso wie damals die Dienstboten, wenn die Herrschaft ausgegangen war. Nichts wie Getobe und Gekreische.»
     
    Mach mich zu deiner Harfe, gleich dem Wald:
    Fällt nicht mein Lebenslaub wie seines schon?
    Wenn deiner Harmonie Tumult erschallt.
     
    «George, ich brauche George», wimmerte Tilly kläglich von weit oben. Dann stellte jemand im obersten Stock das Radio vorsorglich auf volle Lautstärke, die alles übertönte:
     
    Engel speisten abends froh im Ritz,
    Die Nachtigall, die sang am Berkeley Square.
     
    Tilly war nicht mehr zu hören. Greggie hielt Ausschau an der offenen Tür des Eingangs, dann kam sie wieder zurück und sah auf die Uhr. «Sechs Uhr fünfzehn», sagte sie. «Um sechs Uhr

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