Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
jemand konnte helfen, wenn er oder sie den Mut hätte, den Mund aufzumachen. »Was ist mit den anderen Adoptiveltern?«, fragte Dani. »Alle, auf die Gary Schmidt aufmerksam geworden ist.«
»Es finden gerade im ganzen Land Gespräche zwischen ihnen und FBI-Beamten statt. Schmidt ist auf weitere Unregelmäßigkeiten gestoßen. Aber wir sprechen hier von Eltern und ihren Kindern, Nails. Welche Eltern würden da schon freiwillig vortreten und zugeben, dass das Kind nicht durch rechte Umstände zu ihnen gekommen ist? Unsere Jungs holen bereits die gerichtlichen Verfügungen für DNS-Tests ein. Aber diese Eltern haben nicht bloß Angst, ins Gefängnis gehen zu müssen. Sie befürchten, ihr Kind zu verlieren.«
Bis auf ein Paar, dachte Dani, das seine Tochter schon verloren hat.
»Ich brauche die Aufnahmen – vom Tatort und von Monika, bevor sie ins Krankenhaus gekommen ist. Schick sie mir per E-Mail.«
»Herrgott, die sind grausig, Dani. Wozu brauchst du sie?«
»Vertrau mir einfach, Tifton, okay? Was hast du schon zu verlieren?«
Er dachte kurz nach, aber Dani wusste, dass er ihr helfen würde. Er vertraute ihr, und dieser Fall brachte auch ihn an seine Grenzen.
»Okay«, sagte er schließlich. »Gib mir ein paar Minuten Zeit, bis ich alles beieinanderhabe. An welche E-Mail-Adresse soll ich sie schicken?«
Dani bat Flint, sie bei der Stiftung abzusetzen. Sie ging in Mitchs Apartment, wo sie Zugang zu einem Computer haben würde.
Die Fotos trafen vierzig Minuten später ein. Bei ihrem Anblick wurde Dani übel. Der Mann, Fulton, lag am Fuß einer Treppe. Seine Kehle war von einem riesigen Splitter durchstochen, sein Körper wies mehrere Einschusslöcher auf. Überall war Blut.
Dani rief A-Bulle und B-Bulle in Pennsylvania an, schickte ihnen die Bilder und bekam innerhalb von zehn Minuten einen Rückruf.
»Grundgütiger«, sagte B, die Frau namens Fisher, und klang dabei wirklich schockiert. »Wollen Sie etwa, dass ich das hier den Averys zeige?«
»Sorgen Sie dafür, dass der Anwalt dabei ist«, bat Dani. In diesem Augenblick klopfte es an die Tür des Gästeapartments. Mitch öffnete, und wütende Worte erklangen. »Bringen Sie sie dazu, in ihrem Schock einem DNS-Test des Babys zuzustimmen. Aber machen Sie es gründlich, und tun Sie nichts, was später nicht vor Gericht verwendet werden darf.«
»Ich gebe mein Bestes.«
Dani legte auf und ging ins Wohnzimmer. Sie sah Mitch, auf dessen Gesicht sich reiner Zorn abzeichnete, dann zwei uniformierte Beamte.
Und dahinter Chief Gibson.
48
M ia war ziemlich benommen, als sie sich für die Vorpremiere anzog. Sie wollte nicht an der Feier teilnehmen, sie hatte keinen klaren Kopf. Wie sollte sie es schaffen, an Marshalls Arm die Stiftung zu betreten und Smalltalk zu machen, wenn Fulton tot war und Nika Love irgendwo da draußen umherirrte?
Morgen war Sonnabend. Wenn sie Nikas Haar nicht bis zum Morgen in Händen hatte, würde sie die Perücke niemals rechtzeitig für ihr Treffen mit Kristina fertigstellen können.
Sie stieg die Treppe zum Dachboden hinauf und schaltete nacheinander die Lichter über den Staffeleien ein. Vielleicht konnte sie, sollte noch mehr schiefgehen, Kristina herbringen? Und ihr zeigen, was sie für sie getan hatte? Die Porträts der Mädchen – zerstört und gezeichnet. Die Perücke mit ihrem Haar, eine Strähne nach der anderen verknüpft, um Kristina so wunderschön zu machen, wie sie es verdiente. So schön wie ihre Mutter. Ob sie wohl noch Narben im Gesicht hatte? Vielleicht, aber Mia kannte die richtigen Leute. Sie würde Kristina den besten Schönheitschirurgen besorgen, den es gab. Er würde sie wieder zu dem schönen Kind machen, das sie einmal gewesen war.
Mia öffnete einen Schrank und holte ein Erinnerungsalbum hervor. Marshall glaubte, dass sie die Babyfotos von Kristina hier aufbewahrte. Jene Fotos, die vor dem Brand entstanden waren. Aber das war es nicht allein. Das Album enthielt auch Kopien der Prozessmitschriften und Beweisfotos, die sie auf Marshalls Schreibtisch in der Nacht von Kristinas achtzehntem Geburtstag entdeckt hatte. Die Nacht, in der Mia die Wahrheit erfahren hatte.
Mit zitternden Fingern öffnete sie das Album und berührte die Schwarzweißfotografien. Kristina, entstellt. Kristina mit Schmerzen. Kristina in der Öffentlichkeit, zur Schau gestellt, damit sie sie ihr wegnehmen konnten. Mia hatte sie nach dem Brand nie wieder sehen oder gar berühren dürfen. Sie war als untaugliche Mutter eingestuft
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