Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
Messer und Haarsträhnen sagen?«
Ihr lag bereits eine schnippische Antwort auf der Zunge, als ihr bewusst wurde, dass sie Tifton vor sich hatte. Er machte sich nicht über sie lustig. Dani schüttelte den Kopf. »Freuds Spezialität waren Phallussymbole. Ich weiß nicht, was er über Haarsträhnen gedacht hat.« Sie stand auf und holte tief Luft. »Aber was auch immer es zu bedeuten hat, das hier ist nicht beiläufig geschehen. So eine Tat begeht man nicht mal eben so. Das hier ist persönlich. Vielleicht auch sexuell motiviert.«
»Also kannte sie ihn oder er sie. Vielleicht ist sie ihm hierher gefolgt.«
»Wir haben einige Spuren gefunden«, schaltete sich der Tatortermittler ein. »Von Stiefeln, höchstwahrscheinlich.«
»Super«, sagte Tifton. Fußabdrücke waren gut.
Der Mitarbeiter nahm den Abdruck und erledigte damit das, was sich drei- bis vierhundert Mal pro Jahr in großen Städten wie Philadelphia und Baltimore abspielte und einige wenige Dutzend Male in kleineren Gemeinden wie Lancaster County. Techniker, Uniformierte und Detectives, alle in Schutzkleidung, bestehend aus Überziehern und Handschuhen, gingen ihren Tätigkeiten nach: Untersuchung der Leiche, Zeugenbefragung, Absuchen des Wäldchens und des Parkplatzes.
Dani blieb bei Tifton, bis es ein paar Nachrichtenreportern gelang, sie zur Seite zu ziehen und auszuquetschen. Sie achtete streng darauf, nicht zu viel preiszugeben und ihre Abteilung in positivem Licht dastehen zu lassen. »Wir tun alles, um die unschuldigen Bürger unserer Stadt zu beschützen …«
Dann ließ sie bewusst ein paar Schlüsselworte fallen, falls der Mörder die Nachrichten verfolgte: dumm, irre, Monster. Sollte es sich hier um mehr als eine Zufallstat handeln – und die Haarsträhne sprach dafür –, würde der Täter den Fehdehandschuh vielleicht aufheben.
Mittlerweile waren zwei Stunden vergangen. »Wir können sie jetzt umdrehen«, verkündete der Gerichtsmediziner.
Dani beendete die Interviews und ging zu der Stelle, wo Rosie lag. Der Gerichtsmediziner und sein Assistent waren bei ihr. Als ein Techniker ihr Handy in einen Plastikbeutel stecken wollte, sagte Dani: »Zeigen Sie bitte mal her.« Sie zog sich ein frisches Paar Latexhandschuhe über, bevor sie das Mobiltelefon entgegennahm, und zwang sich zuzusehen, wie Rosies Leiche behutsam umgedreht wurde.
Nichts. Keine weiteren Wunden. Kein Tatwerkzeug, das ihr Körper vorher verdeckt hatte. Keine Hinweise auf den Mörder. Zumindest nichts, was mit bloßem Auge zu erkennen gewesen wäre. Dani ging mit Rosies Handy zum Parkplatz und beugte sich über die Haube von Tiftons Wagen. Dann drückte sie auf die »Power«-Taste und notierte sämtliche Rufnummern der getätigten, empfangenen und entgangenen Anrufe. Anschließend reichte sie das Handy dem Kriminaltechniker zurück und nahm ihr eigenes zur Hand. Sie rief auf dem Revier an und gab die Nummern und die entsprechenden Einträge an den diensthabenden Beamten weiter.
Fünfzehn Minuten später kam der Rückruf mit den Namen und Adressen aus Rosies Mobiltelefon. Dani erkannte einige davon wieder – die Schwester, der Vermieter und Rosies Mom. Keiner der Namen schien zu einem festen Freund zu gehören. Dani stellte nichts Ungewöhnliches fest, bis sie ans Ende der Liste kam. Russell Sanders. Erst wollte ihr der Name nichts sagen, doch dann sah sie den Rest des Eintrags: JMS Foundation.
Ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie erinnerte sich an einen Russell Sanders. Wenngleich sie ihm nie persönlich begegnet war, so hatte sie doch von ihm gehört – in jenem Sommer vor achtzehn Jahren, den sie mit aller Macht vergessen wollte.
Sie blickte sich um, als befürchtete sie, jemand könnte das Flattern in ihrem Bauch bemerken, was natürlich völlig irrational war. Dann prüfte sie die Zeit des Anrufs: Sonntag, 20:07 Uhr, der letzte Anruf, der von Rosies Handy aus getätigt worden war. Die Nummer war im Laufe des Wochenendes bereits zweimal angerufen worden.
»Aufgepasst, sonst bleiben die Falten für immer so stehen.« Tifton kam zu ihr und legte ihr seinen Daumen auf die gerunzelte Stirn.
Sie schob seine Hand beiseite und nahm ihr Handy, um die letzte Nummer anzurufen. Sie musste sich einfach Gewissheit verschaffen.
Ein Anrufbeantworter schaltete sich ein. »Guten Tag, Sie sind mit dem Anschluss von Russell Sanders, dem Geschäftsführer der J. M. Sheridan Foundation, verbunden. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht …«
O Gott, es stimmte.
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