Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
Reginald Tifton wurde ihm immer sympathischer.
»Hör zu«, sagte Dani, »ich habe ein paar Fakten für dich. Rosie McNamara wurde als Kind häufig operiert. Der Killer hat sie exakt an den Stellen ihrer OP-Narben verunstaltet. Du musst nach jemandem Ausschau halten, der das von ihr wusste. Und tu mir einen Gefallen: Überprüfe eine Frau namens Robin Hutchins. Sie ist die stellvertretende Direktorin von OCIN, der Adoptionsvermittlung. Sie stand auf unserer Liste, wir konnten aber noch nicht mit ihr sprechen. Check doch mal, ob ihr Name irgendwo im Zusammenhang mit Rosie auftaucht.« Stille. Mitch sah, wie Dani erstarrte. »Warum?«, fragte sie, bevor sie kurz darauf mit einem nachdrücklichen »Nein« auflegte. Sie kochte vor Wut.
»Nein zu was?«, wollte Mitch wissen.
»Er wollte mit dir sprechen.« Sie schnaubte verächtlich, doch ihre Wangen liefen rot an. »Wie kommt er darauf, dass ich bei dir bin?«
Mitch kicherte. »Süße, er wusste, dass wir zusammen sind, bevor wir es wussten.«
Jetzt klingelte sein Handy. Mitch sah grinsend auf das Display. Er hielt es Dani hin, die fluchte wie ein Waschweib.
»Geh nicht ran«, verlangte sie.
»Hallo?«
»Hören Sie, Sheridan«, begann Tifton unvermittelt. »Dani darf auf keinen Fall allein irgendwo unterwegs sein, haben wir uns verstanden?«
»Sie ist nicht allein. Ich bin bei ihr.« Mitch zwinkerte Dani zu, die daraufhin die Augen verdrehte.
»Verdammt noch mal!«, schimpfte Tifton.
»Detective«, sagte Mitch, ohne den Blick von Dani zu lösen. Sie sah aus, als würde sie ihn ohne Vorwarnung erschießen, wenn er auch nur ein falsches Wort zu Tifton sagte. »Haben Sie jemals versucht, Dani Cole zu sagen, was sie tun oder lassen soll? Man könnte sie durchaus als stur bezeichnen.«
»Jemand hat es auf sie abgesehen, Mann.«
»Ich weiß. Ich habe ihr Haus gesehen.«
Tifton sagte nichts. Mitch wusste mehr, als er hätte wissen dürfen. Das verstieß gegen die Vorschriften. Doch Tifton war schlau genug zu kapieren, dass Dani bei ihm in größerer Sicherheit war. »Ich habe mir Sorgen gemacht, als ich hörte, dass sie noch nicht im Motel eingecheckt hat«, erklärte Tifton schließlich. »Und ich bin mir wirklich nicht sicher, ob es mir jetzt bessergeht.«
»Das sollte es aber«, beteuerte Mitch. »Ich passe gut auf sie auf.«
Er beendete das Gespräch und ließ das Handy auf den Couchtisch fallen. »Er hat sich Sorgen gemacht.«
»Ich habe fünfunddreißig Jahre ohne einen Aufpasser überlebt, und –«
»Höchste Zeit, dass jemand diese Aufgabe übernimmt.«
Dani blinzelte. Er hatte sie eiskalt erwischt. Und das bestärkte Mitch um ein Vielfaches. Es war tatsächlich höchste Zeit, dass sich jemand um sie kümmerte. Und dieser Jemand würde sicher nicht Tifton sein.
Er trat auf sie zu und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Dani schüttelte den Kopf. »Du tust es schon wieder, Mitch. Du versuchst, die Vergangenheit wiedergutzumachen. Aber du schuldest mir nichts. Du brauchst nicht auf mich aufzupassen.«
»Ich will es aber«, entgegnete er. »Die einzige Frage, die sich mir stellt, ist, ob du heute Nacht in meinem Bett und in meinen Armen einschläfst oder allein, hier auf dem Sofa. Du hast die Wahl. Aber eines ist sicher: Das Radisson steht nicht mehr zur Debatte.«
26
Mittwoch, 6. Oktober, 7:20 Uhr
S arah Rittenhouse war so zuverlässig wie der Sonnenaufgang. Jeden Morgen erschien sie in ihrem knöchellangen Rüschenrock und flachen Schuhen in der Hillgrove-Praxis, einen Becher Kaffee mit Deckel in der Hand. In der anderen einen Schlüsselring, den sie um einen Finger kreisen ließ. Sie saß stets als Erste spätestens um halb acht an ihrem Schreibtisch und kümmerte sich um die Bestellungen. Außerdem erledigte sie den Papierkram, überprüfte den Terminkalender und bereitete alles für den neuen Tag mit den Patienten vor. Wenn die Kollegen dann gegen halb neun in der Praxis eintrudelten, gefolgt von den Ärzten um zehn Uhr, hatte sie bereits mehr erledigt als manche anderen während der gesamten Woche.
Am Anfang, als Marshall seine Arbeit im Sozialdienst zugunsten einer eigenen Praxis aufgegeben hatte, war Mia noch für Sarahs Aufgaben zuständig gewesen. Doch es war den labilen Seelen der Amerikaner und einem steten Zustrom wohlhabender Patienten aus Baltimore zu verdanken, dass der Erfolg der psychiatrischen Praxis nicht lange auf sich warten ließ. Mittlerweile hatte Marshall zwei Partner und beschäftigte eine Krankenschwester, eine
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