Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
und tauchten die Porträts in kühles Licht. Dann flammten der Reihe nach sechs Deckenspots auf – jeder einzelne war, wie in einem Museum, auf ein Porträt gerichtet. Klick: Heather Whyte, Nummer eins auf der Liste. Klick: Rolinda Sills, Nummer zwei. Klick, klick: Jill Donnelly und Rosie McNamara, drei und vier. Klick: Alicia Woodruff – Nummer fünf.
Und klick: Nika Love. Ihr Porträt noch unberührt.
Es war an der Zeit.
Innerhalb weniger Minuten war ihr Foto von Rahmen und Passepartout befreit und lag auf dem Arbeitstisch. Sie sah nett aus, wenn man eine Vorliebe für Mädchen mit Porzellanteint hatte – was bei vielen Männern der Fall war. In ihrer Akte stand, dass sie aus North Carolina kam, achtzehn Jahre alt und eine Ausreißerin war.
Die Salpetersäure stand in einem kleinen Safe neben dem Arbeitstisch, in dem auch der Silikonpinsel, die Handschuhe und eine Gesichtsmaske lagerten. Schon merkwürdig, dass etwas wie Salpetersäure so einfach zu bekommen war. Eine Firma aus Denver verkaufte das Zeug über das Internet, angeblich an Chemielehrer und Labore. Sie verschickte es allerdings nicht per Luftpost. Man durfte es also nicht zu eilig haben. Aber sonst kein Problem.
Und die Säure war perfekt, um den Plan präzise auszuführen. Nika Love würde bald so aussehen, wie sie es verdiente.
Ihr zartes Gesicht starrte an die Decke, während ein dünner Strahl der gelblichen, ätzend riechenden Flüssigkeit auf sie herabtropfte. Die Säure traf den Haaransatz und die linke Wange, bevor der Silikonpinsel sie verteilte. Innerhalb von Sekunden warf ihre Haut Blasen, das Haar wurde versengt, und die Wange verbrannte. Ihre linke Gesichtshälfte wurde förmlich von der Säure zerfressen. Am Ende war von dem Mädchen kaum noch etwas übrig. Nur noch eine abscheuliche, vernarbte Fratze des Bösen.
Wie es sein sollte.
Zurück ins Passepartout und in den Rahmen. Jetzt musste ihre Staffelei in die Mitte gerückt werden. So würde sie die beste Aussicht haben, wenn ihr Haar in die Perücke eingearbeitet wurde.
Aufräumen, alles verstauen, und dann zurück ins Bett. Morgen würde der Wecker früh klingeln, und es würde wieder ein hektischer Tag werden.
Sarah Rittenhouse. Sie war wirklich ein unerwartetes Problem. Ja, erst noch etwas Schlaf bekommen. Es würde ein hektischer Tag werden.
Mitch rieb sich die Augen und griff nach einer neuen CD, während er den Blick zu dem bequemen Ledersofa schweifen ließ, auf dem Dani es sich gemütlich gemacht hatte. Das Licht des Laptops erhellte ihr Gesicht, doch es fiel ihr inzwischen schwer, die Augen offen zu halten. Er sah auf die Uhr. Es war fast halb zwei Uhr morgens, und sie hatte bereits in der letzten Nacht kaum ein Auge zugetan. Der heutige Abend war zwar weitaus weniger dramatisch verlaufen, dafür aber nicht viel einfacher gewesen. Ein Gewitter nach dem anderen war über sie hinweggezogen, und Dani war bei jedem Donner zusammengezuckt.
Ich wurde von einem Donnerschlag geweckt … Doch dann wurde mir bewusst, dass es meine Glock war.
Mitch versuchte, sich zu erinnern, wann er sich zuletzt mit Haut und Haar auf eine Frau eingelassen hatte. Die meiste Zeit seines Erwachsenendaseins hatte er mit Frauen gespielt. Selten hatte es eine gegeben, die seine Gleichgültigkeit ernsthaft gefährdete. Eine britische Journalistin in Somalia hätte es fast geschafft und später eine Pathologin, die er auf dem Flughafen von Tel Aviv kennengelernt hatte. Beide waren ihm wirklich wichtig gewesen. Vielleicht hätte er sich sogar in sie verlieben können.
Aber genau das war der Grund, weshalb er nicht bei ihnen geblieben war. Die Journalistin hatte ihn voller Wut gefragt, weshalb er sich eigentlich mehr um all diese fremden Leute scherte als um sie. So weit war die Pathologin nicht gegangen. Sie war wie er und hatte sich hinter verschlossenen Labortüren, Mikroskopen und Krebszellen versteckt. Als sie sich trennten, hatte sie ihn geküsst und gesagt: »Ruf mich an, falls du jemals genug davon hast, die Welt zu retten.« Und Mitch hatte nur geantwortet: »Dito.«
Vielleicht war sie bei diesem Vorhaben ja erfolgreicher gewesen als er.
Er fuhr den Rechner herunter und ging zu Dani hinüber. »Süße«, sagte er und wurde sich erst dieser liebevollen Anrede bewusst, als sie ihm schon herausgerutscht war. »Es ist spät.«
Sie blinzelte ihn an. »Ich habe noch nichts gefunden. Ich kann noch nicht aufhören.«
»Für diesmal schon.« Er zog ihr sanft den Laptop vom Schoß und
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