Mädchen und der Leibarzt
natürlich!«
»… und nach Bedarf der Backofen. Das Holz zum Feuern wird kostenlos zur Verfügung gestellt. Ebenso einen Anteil der Ernte, der bei Bedarf selbst vom Feld geholt wird und verkauft werden darf. Dazu ist Mutter oder Tochter zweimal im Jahr ein gesatteltes Reitpferd zur Verfügung zu stellen. Ist das alles in Ihrem Sinne?«
»Das … das hört sich alles ganz wunderbar an.« Unvermittelt ließ Ernestine den Kopf sinken. »Dabei weiß ich noch gar nicht, wie ich die Beerdigung meines lieben Mannes bezahlen soll. Dazu müsste ich meine Kühe verkaufen, aber durch die Krankheit am Euter sind sie gerade nicht viel wert. Und was wird mit meiner Tochter geschehen, wenn ich kein Geld für eine Behandlung habe?« Ernestine unterdrückte ein Schluchzen. »Wenigstens kann keine von uns beiden die Blattern bekommen, so lange wir die Milch der kranken Kühe trinken.«
Helena schüttelte bedauernd den Kopf, doch Ernestine nickte eindringlich. »Ich weiß, der Doktor glaubt auch nicht daran, aber in anderen Bauersfamilien hat das auch geholfen. Die Milch der Kühe schützt sogar, wenn eine Seuche erst lange Zeit später ausbricht. Und nun haben wir auch kranke Kühe und müssen nicht wie einst vor den Blattern fliehen.«
»Nein, Ernestine, der Leibarzt hat Recht. Es ist nicht die Milch. Es ist Gottes Wille, der uns gesund erhält. Bitte glaube mir …« Helena verstummte, als Schritte vom Keller herauf ertönten. Die Luke ging auf und der Äskulap keuchte mit dem harzigen Kienspanleuchter in der Hand schwerfällig die letzten Stufen hinauf.
»Das wird teuer, Ernestine«, konstatierte er und klopfte
den Staub aus seinem scharlachroten Rock. »Das war eine anstrengende Untersuchung. Sie hat auf keine meiner Fragen geantwortet oder auf meine Bemühungen reagiert. Das Geld hättest du dir sparen können. Du lässt sie am besten dort unten in dem Kellerloch, da ist sie gut aufgehoben.«
»Aber Monsieur Dottore Tobler …«
»Kein Aber. Sie will es selbst so, warum wäre sie sonst hinuntergegangen? Wenn es schlimmer wird, solltest du sie allerdings einschließen. Und weder zu ihr gehen noch mit ihr sprechen! Du musst sie ganz in Ruhe lassen, und vor allem nichts zu essen geben. Der Hunger hat durch seinen starken Reiz schon manches Gemüt zur Vernunft gebracht. Und wenn du ihr zusätzlich einmal am Tag einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf schüttest, wirkt das Wunder. Das nimmt die überschüssige Hitze aus dem Hirn. Ein Pflaster mit dem Gift des Blasenkäfers als Reizmittel für die Kopfhaut wäre sehr dienlich, aber das kannst du dir ja nicht leisten. Also, das macht dann …« Der Leibarzt hielt die Sanduhr hoch und wartete, bis die restlichen Körner nach unten gerieselt waren. »Insgesamt achtzehn Sanduhren à einen Kreuzer, zuzüglich der Untersuchungsgebühr von fünfzehn Kreuzern, also dreiunddreißig Kreuzer insgesamt. Habe die Ehre – Helena, wir gehen.«
»Einen Moment, ich bin hier noch nicht fertig.« Der Groll in Helenas Stimme war nicht zu überhören.
Ernestine eilte flink zu ihr an den Tisch. »Oh, lass nur Helena. Du hast mir schon sehr geholfen.«
Ernestine nahm ihr das zusammengeklappte Rechnungsbuch ab, ehe der Leibarzt in Versuchung käme, einen Blick darauf zu werfen, und reichte ihr die Hand zum Abschied. »Nimm sie nur, die Melkerknoten tun mir nicht weh.«
»Ich weiß«, sagte Helena und gab ihr die Hand. »Ich hatte die Melkerknoten auch schon.«
Draußen an der frischen Luft schüttelte sich der Leibarzt, und dann nahmen die Flüche auf dem ansteigenden Weg zurück ins Stift kein Ende mehr. Zwei Bedienstete konnten gerade noch seinem Gehstock ausweichen, den er wie eine Waffe vor sich hin- und herschwang.
»Wenn nur diese elend schwierigen Patienten nicht wären! Derentwegen komme ich noch zu spät zur Kapitelsitzung …«
»Die Kapitelsitzung! Dort muss ich auch hin! Die Fürstäbtissin wollte mich doch der Runde vorstellen.«
Dem Leibarzt entfuhr ein abgrundtiefer Seufzer. »Was habe ich dem Herrgott nur angetan, dass er mir die Blatternseuche und dazu dieses Weib auf den Hals geschickt hat? Du bleibst drei Schritte hinter mir, und wenn ich mit dir rede, dann siehst du in Demut zu Boden, haben wir uns verstanden?«
»Gewiss.« Helena hielt es für angebracht, in augenblickliches Schweigen zu verfallen, denn dann konnte sie in Ruhe nachdenken und sich für die anstehende Kapitelsitzung ein paar passende Worte zurechtlegen.
KAPITEL 7
G regor blinzelte. Seine Muskeln
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