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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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kaum auszuhalten. Was ist jetzt mit deiner Tochter?«
    »Ja, also, wie soll ich sagen … Es lässt sich so schwer beschreiben. Sie spricht ja seither nicht mehr. Zumindest nicht mit mir, nur mit Leuten, die gar nicht da sind, verstehen Sie? Sie öffnet die Haustüre, um Besuch hereinzulassen, aber es steht niemand da. Sie deckt den Tisch für mehrere Personen und besorgt den Abwasch, obwohl das Geschirr völlig sauber geblieben ist. Ach, lieber Monsieur Dottore Tobler, bitte helfen Sie ihr. Ich werde das Geld schon irgendwie aufbringen – zur Not verkaufe ich ein Stück Vieh.«
    »Wie du willst, Ernestine. Wo ist sie?«
    »Sie ist im Erdkeller. Dort will sie sogar zum Schlafen bleiben.«
    Der Leibarzt wies Helena zur Seite, nahm mit spitzen Fingern einen harzig rußenden Kienspanleuchter vom Tisch und öffnete mit einem Seufzer die Bodenluke. Schwerfällig stieg er die Treppen hinunter.
    Helena blieb bei Ernestine oben in der Küche. Ihre Blicke trafen sich. »Der Leibarzt hat es vorhin nicht für nötig gehalten, mich vorzustellen. Mein Name ist Helena. Ich bin an dem Kutschunfall vorbeigekommen, aber für Ihren Mann war bereits jede Hilfe zu spät. Es tut mir wirklich sehr leid.« Sie senkte den Kopf.
    »Ach, liebes Kind. Was hättest du auch tun können?«
    »Vielleicht, wenn ich eher dort gewesen wäre. Ich bin Hebamme und kenne mich ein wenig mit den menschlichen Gegebenheiten aus. Und nun lerne ich bei Monsieur Dottore Tobler, um mich in der Medizin zu bilden.«
    »Wahrhaftig?« Ernestine sah ungläubig drein und murmelte
kopfschüttelnd vor sich hin: »So etwas hätte ich niemals von ihm erwartet. Er nimmt ein Weibsbild in die Lehre!«
    »Nein, nein, so ist es nicht. Ich werde vermutlich nur ein paar Tage hier sein. Aber vielleicht kann ich Ihnen ein wenig helfen? Mir scheint, Sie müssen sich nun um alles allein kümmern.«
    »Ach, das ist sehr lieb von dir, mein Kind, allerdings weiß ich tatsächlich nicht, wie es weitergehen soll. Ich hab bisher nicht viel nach Geld und Gut gefragt, wo ich doch zufrieden war. Bisher hat es immer von einem Tag auf den anderen gereicht. Aber wie soll ich denn nun alleine das Haus und die Viehwirtschaft erhalten? Ach, und wer weiß, wie lange ich mit meiner Tochter dieses Häuschen noch halten kann.«
    »Haben Sie Verwandte hier?«
    »Ja, der Bruder meines Mannes. Er wohnt nur ein paar Häuser weiter.«
    »Meinen Sie, er hätte Interesse an dem Haus und dem Vieh?«
    »Ja, das könnte sein, ich denke schon. Bestimmt sogar. Sein Sohn will bald heiraten, und mit der Milch der Kühe käme er auch besser über den Winter.«
    »Dann könnten Sie mit ihm einen Vertrag machen. Sie übereignen ihm das Haus und die Tiere gegen gewisse Auflagen. «
    »Aber ich kann doch nicht schreiben. Und überhaupt, was soll ich denn für mich fordern?«
    »Haben Sie irgendwo Feder und Papier?«
    »Warte, hier in der Tischschublade hat mein Mann immer das Rechnungsbuch aufbewahrt.«

    »In Ordnung. Ich schreibe, und Sie hören einfach zu.«
    Helena ließ sich das Rechnungsbuch aushändigen und setzte sich an den kleinen Tisch, um den sich drei Stühle drängten. Sie blätterte die steifen Seiten auf der Suche nach einem leeren Blatt durch. Die Schrift war ohne Schwung, klar und sorgfältig, als hätte jeder Buchstabe besondere Konzentration erfordert. Sie tauchte die Feder in das Tintenfass. » Hiermit übereigne ich meinem Schwager … wie heißt er?«
    »Josef Leitner.«
    »… Josef Leitner mein Haus mit Inventar und dem Vieh. Dafür erhalten meine Tochter und ich … Weitere Kinder haben Sie nicht?«
    »Nein.«
    »… eine ausreichende Versorgung aus der Hauswirtschaft. Dazu gehören eine wöchentlich zu entrichtende Quantität an Getreide, Salz, Eiern, Schmalz, Milch, Fleisch und Gemüse.
    Dazu noch alle acht Tage ein Pfund Butter.« Helena schaute auf. »Sonst noch etwas?«
    Ernestine war sprachlos und sah sie entgeistert an. »Aber, das ist doch schon viel zu viel. Und woher kannst du so etwas formulieren?«
    »Meine Großmutter musste einen solch ähnlichen Vertrag schließen. Nun also die weiteren Rechte. Welche Tiere möchten Sie behalten?«
    »Vielleicht meine Geiß? Die könnte ich versorgen.«
    »Gut. Die Übereignerin erhält das Recht, eine Ziege zu halten. Außerdem soll eine Kammer für Mutter und Tochter zur Verfügung gestellt werden, außerdem des Winters für die Mutter einen Platz am Kachelofen. Zudem ist ihr am Herdfeuer eine Kochstelle freizuhalten … reicht das?«

    »Ja,

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