Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
Vom Netzwerk:
fühlten sich an wie nach einem Gefecht, und die bleierne Müdigkeit ließ nur langsam von ihm ab. Als er sich aufzurichten versuchte, prallte er mit dem Kopf gegen den Bettkasten. Verwundert kroch er unter dem Bett hervor, während seine Erinnerung allmählich zurückkehrte.
    Er hatte Schritte vor der Tür gehört. Panisch war er unter das Bett gekrochen, und einen Augenblick lang hatte er geglaubt, Helena könnte ihn verraten haben. Bis er das Kleid gesehen hatte. Ihr weißes Kleid. Von da an fehlte ihm jegliche Erinnerung. Er wusste nur, dass seine Seele die plötzliche Begegnung mit Aurelia nicht verkraftet hatte und der Zwangsschlaf nach dem Anfall lange angehalten hatte. Aber noch etwas wusste er: Er wollte zu Aurelia. Jetzt sofort.
    Wie viel Schmerz konnte man eigentlich aushalten? Zusätzlich zu den Schmerzen im Arm, die sich ganz gut mit Wein ertränken ließen, kamen noch die kleinen, unzähligen Stiche, die sich bei jedem Gedanken an Aurelia tiefer in sein Herz bohrten.
    Was würde sie sagen, wenn sie ihn hier anträfe? Wenn sie von seiner Flucht aus der Armee erführe? Würde sie ihn überhaupt erkennen? Als er sich erhob und auf wackeligen Beinen stand, fühlte er sich noch immer wie gerädert. Vergeblich sah er sich nach einem Gegenstand mit glatter Oberfläche
um, in dem er sich spiegeln könnte. Er fuhr sich mit der Hand durch die struppigen Haare, versuchte diese zu bändigen, doch die Finger blieben in unzähligen Verfilzungen hängen. Es war aussichtslos. Gregor wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht, und sein Blick wanderte nach unten über die zerlumpte, blutbefleckte Kleidung und die viel zu großen, ausgebeulten Schuhe. Vielleicht könnte er sich heute Nacht neue Kleidung besorgen und zum Brunnen schleichen, um sich ein bisschen zu waschen?
    Missmutig setzte er sich an den Studiertisch und schlug den Aristoteles an der Stelle auf, wo er zuletzt gelesen hatte. Da erschien Aurelias Gesicht zwischen den Zeilen und lächelte ihn an. Die Sätze verschwammen vor seinen Augen und trugen ihn in seine Gedankenwelt. Er stützte den Kopf in die Hände. Wie war sein Mädchen doch schön! Ihre Frisur, ihre zarte Nackenhaut, die er damals kurz berühren durfte. Der helle Duft ihres Parfüms, den er wohl nie vergessen würde.
    Entschlossen stand Gregor auf, ging auf leisen Sohlen durch die Bibliothek und öffnete die schwere Türe. Vorsichtig schaute er hinaus auf den Gang. Niemand war zu sehen. Es durfte einfach nichts passieren. Er schlich sich an der Wand entlang, wagte kaum zu atmen. Er schob den Gedanken an eine drohende Gefahr zur Seite und konzentrierte sich auf die bevorstehende Begegnung mit Aurelia. Warum war sie überhaupt in die Bibliothek gekommen? Um ein Buch zu entleihen? Vielleicht wusste sie, dass er hier war, vielleicht hatte sie ihn gesucht. Aber dann hätte sie doch seinen Namen gerufen?
    Die Räume der Gräfinnen. Eine weiße Türe an der nächsten, alle gleich, in einem scheinbar endlosen Gang. Er zögerte.
Das dritte Zimmer müsste es sein, falls Aurelia nach der Flucht ihr altes Zimmer wiederbekommen hatte. Hoffentlich lag er damit richtig, hoffentlich war sie da, hoffentlich war sie allein. Gregor starrte auf das weiße Holz, als könnte er hindurchsehen. Dann nahm er allen Mut zusammen und klopfte an. Sein Herz pochte heftig. Gregor horchte, doch alles blieb still. Er klopfte noch einmal lauter an. Nichts. Seine Hand legte sich auf die eiserne Türklinke, und er drückte sie nieder.
    »Aurelia?«, flüsterte er.
    Es war eindeutig ihr Zimmer, er erkannte ihre Möbel wieder. Das blaue Himmelbett ragte von der linken Seite her in den Raum hinein. Hinten am Fenster schmiegte sich der Damensekretär mit den geschwungenen Beinen aus Mahagoniholz zwischen die schweren, grünlichen Stores. Daneben prangte der weiße, kantige Frisiertisch und bei dem Paravent, hinter dem sie damals das weiße Kleid angezogen hatte, standen drei wuchtige Kleiderschränke, der eine schmucklos aus hellem Holz, der mittlere trug schwungvolle Bemalungen und der dritte dunkle Schrank besaß üppige goldene Beschläge. Nichts in diesem Zimmer passte zusammen. Es war das überflüssige Mobiliar ihrer bereits verheirateten Schwestern, das man hier zusammengewürfelt hatte. Nur die Reisetruhen, die sie vom Vater zum Geburtstag bekommen hatte, waren neu und einheitlich gefertigt.
    Leise schlich er sich an den Truhen vorbei in den hinteren Teil des Zimmers zu dem einfachen Esstisch, der eher in die Stube eines

Weitere Kostenlose Bücher