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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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von einer Bildungsreise. Allerdings wäre das tatsächlich ziemlicher Leichtsinn. Aber ich habe es ja schon immer gesagt: Fern vom Haus ist nah beim Schaden. Doch das hat den Damen wohl noch niemand geflüstert.«
    »Somit wäre der erste Tagesordnungspunkt schneller erledigt als gedacht. Es bliebe festzuhalten …« Die Fürstäbtissin sah sich zur Türe um, wo sich ihr Schreiber mit eingezogenem Genick, seine Utensilien unter den Arm geklemmt, möglichst unauffällig hereinschleichen wollte. Außer Atem nahm er unter den Blicken aller an der langen Wand Platz, wo ein Stuhl für ihn bereitstand. Hastig legte er den Stapel Pergamentblätter auf seinen Schoß und stellte das Tintenfass aus Porzellan nebst einiger frischer Federn zu seinen Füßen.
    »Es bliebe wie gesagt festzuhalten, dass ich es angesichts der knappen wirtschaftlichen Verhältnisse des Stifts für angebracht halte, die ausstehenden Bemäntelungen der beiden Gräfinnen samt anschließender Feier an einem gemeinsamen Tage auszurichten. Daher wird die Aufnahme der Aurelia Gräfin von Hohenstein aufgrund der Abwesenheit
von Gräfin Sophie auf zunächst unbestimmte Zeit verschoben. «
    Aurelia durchfuhr es heiß und kalt. Reihum sahen ihr schadenfrohe Gesichter entgegen, keine der Damen machte sich die Mühe, ihre Genugtuung zu verbergen. Einzig die Miene der Fürstäbtissin glich der einer Statue.
    »Warum …?«, flüsterte Aurelia.
    »Weil ich es für richtig halte«, entgegnete die Fürstäbtissin in strengem Tonfall.
    »Das dürfen Sie nicht tun! Ich habe das Residenzjahr erfolgreich beendet! Ich war jeden Tag anwesend, habe immer meine Gebete verrichtet!«, platzte es aus ihr heraus.
    Der Stiftskanzler legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter und sagte zu Sophie Albertine: »Werte Fürstäbtissin, das kann ich bezeugen. Gräfin von Hohenstein besucht jeden Tag wie vorgeschrieben den Gottesdienst.«
    »Ja, das ist mir durchaus bekannt«, meinte die Fürstäbtissin und betrachtete angelegentlich die schwarze Tischplatte.
    »Darum wäre es doch nur rechtens, wenn die Gräfin Aurelia besser heute als morgen ins Stift aufgenommen werden würde«, insistierte Sebastian. »Der Gräfin steht nach Recht und Gesetz des Stifts eine Bemäntelung und damit eine zugesicherte Versorgung zu.«
    Die Seniorin am anderen Ende des Tisches kam der Fürstäbtissin zuvor. »Aber wenn man es genau bedenkt, dann fehlen der Gräfin von Hohenstein zur Vollendung des Residenzjahres die Wochen, in denen das Stift unbesetzt war und sie in Wien weilte.«
    Aurelia starrte das Gesicht der alten Frau unter der Spitzenhaube an, bis es vor ihren Augen verschwamm. Sie sah
sich eine Flasche mit der Aufschrift Petroselinum crispum aus dem Medizinregal in der Höhle des Äskulap greifen und spürte förmlich, wie ihr feine schwarze Samenkörner in die Hand rieselten. Ohne einen Mann an ihrer Seite oder die Versorgung durch das Stift würde ein Leben mit Kind unmöglich sein. Es blieb ihr nichts anderes übrig …
    Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Die Fürstäbtissin griff nach ihrer Lorgnette und bedeutete dem Diener die Türe zu öffnen.

    »Oh, Monsieur Dottore Tobler. Das fügt sich ganz wunderbar, denn ich wollte gerade zum nächsten Punkt kommen. Und das Mädchen haben Sie auch mitgebracht, wie ich sehe. Ganz ausgezeichnet. Nehmen Sie Platz.«
    Helena hatte hinter dem Äskulap das Kapitelzimmer betreten. Ihr erster prüfender Blick galt der Fürstäbtissin, deren Stirnwunde jedoch keine Anzeichen einer Inflammation aufwies und offenbar gut verheilte. Alle Augen am Tisch hatten sich ihr zugewandt und musterten sie nun von Kopf bis Fuß. Ob Gregors Liebste auch unter ihnen war? Helena war aufgeregt, wusste nicht, wo sie zuerst hinschauen sollte. Die vielen Gesichter, die Kleider, der Schmuck, das Mobiliar … Parfüm stieg ihr in die Nase, vermischt mit dem Rauch des Kaminfeuers.
    Mit einer freundlichen Geste bekam Helena den letzten freien Stuhl neben dem Leibarzt zugewiesen, und sie ließ sich zögerlich darauf nieder. Noch nie hatte sie auf einem solch bequemen Polsterstuhl gesessen. Unauffällig fuhr sie mit ihren Fingerspitzen über den Samtstoff, mit und gegen
den Strich. Es war ihr, als spürte sie die weichen und zugleich borstigen Haare eines Tieres, wie ein Pferdefell kam ihr der Samt vor. Bei dem Gedanken an ihr Pferd und an ihre Flucht überkam sie die Erinnerung an Friedemar. Gänsehaut kroch ihr den Rücken entlang.
    »Nun, meine Damen, ich

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