Maedchenauge
zu ihnen hin und studierte sie. Ein Paar war auf den Bildern zu sehen, etwa vierzig Jahre alt, durchschnittliche Gesichter, unauffällige Kleidung, außerdem zwei Einzelaufnahmen der Frau und des Mannes. Die Eltern?
Nichts deutete auf die regelmäßige oder gelegentliche Anwesenheit eines Mannes in dieser Wohnung hin. Da gab es keine Bierdosen, die aus Liebe gehortet und gekühlt wurden. Keine fremde Wäsche im Schrank, keine Männerschuhe im Vorzimmer, keine zweite Zahnbürste im Bad, kein Foto.
»Du analysierst ihren Musikgeschmack?«, fragte Steffek. Lautlos hatte er sich hinter Belonoz gestellt, als der gerade den iPod des Opfers durchforstete.
»Wie du mit deiner unnachahmlichen Auffassungsgabe siehst«, erwiderte Belonoz emotionslos. »Ich frage mich aber auch, ob und wo Magdalena Karner Urlaub gemacht hat?«
»Warum?«
»Mir fehlen die typischen Postkarten und Mitbringsel. Es gibt auch keine fremdsprachigen Bücher.«
»Vielleicht hat sie das, was ihr wichtig war, auf ihrem Computer gespeichert.«
»Und alles andere weggeworfen, damit es nicht die Ordnung in dieser Wohnung stört … Das wäre natürlich denkbar«, sagte Belonoz und drückte dem Oberleutnant den iPod in die Hand. »Was schließt du daraus?«
Steffek hantierte flink am Gerät herum. »Da kenne ich einiges durch meine Tochter. Der übliche Mainstream-Pop.«
Belonoz’ Augen verengten sich für Sekundenbruchteile. »Gut formuliert, Edi. Eigentlich gehorcht hier alles dem üblichen Mainstream. Einfach übertrieben normal.«
»Übertrieben normal?«
»Wo ist hier das echte Leben einer jungen Studentin? In dieser Wohnung sieht es so keimfrei aus wie in einem Möbelhaus.«
Steffek blickte seinen Chef neugierig an.
»Mich irritiert irgendwas«, fuhr Belonoz mit leichtem Kopfschütteln fort. »Vielleicht ist es diese sterile Aufgeräumtheit. Dermaßen künstlich und gestellt … nein, mir fällt ein besseres Wort ein: anonym . Die ganze Wohnung wirkt anonym. Als hätte hier niemand wirklich gelebt.«
Belonoz setzte seinen Rundgang fort. Zugleich verstärkte sich sein Missmut.
Jemand würde die Eltern der Ermordeten benachrichtigen müssen. Er wusste zwar, dass für diese gefürchtete Aufgabe die Salzburger Kollegen zuständig waren. Doch die Last auf seinen Schultern nahm ihm keiner ab. Nämlich den Täter zu finden und die nervöse Öffentlichkeit zu beruhigen. Nicht um die hämischen Medien eines Besseren zu belehren oder sich als Sieger feiern zu lassen. Sondern um die Ermordung weiterer junger Frauen zu verhindern. Dieser Kampf war vor allem einer gegen die Zeit.
Belonoz blickte auf seine Armbanduhr.
»Jetzt sind wir schon so lange hier«, sagte er mit genervtem Unterton. »Wo bleibt der Staatsanwalt? Sind wir die einzigen Deppen, die am Sonntag arbeiten dürfen?«
Steffek, der gerade telefoniert hatte, steckte das Handy in die Gesäßtasche. Wie zufällig tat er ein paar Schritte, bis er unmittelbar neben Belonoz stand.
»Mir ist etwas zu Ohren gekommen«, raunte er dem Major zu. »Vielleicht nur Kollegentratsch. Aber morgen sollen wir angeblich einen neuen Staatsanwalt bekommen. Beziehungsweise eine neue Staatsanwältin.«
Der Gesichtsausdruck des Majors veränderte sich keinen Deut. Er schaute den Oberleutnant kühl an.
»Jetzt tauschen sie schon die ersten Leute aus«, sagte Belonoz so deutlich, dass ihn alle Umstehenden hören konnten. »Früher oder später wird es jeden von uns treffen, solange diese Sache nicht aufgeklärt ist.«
Der übergewichtige Mann, der sich schwer atmend und mit nasser Stirn dem Major näherte, war gestresst. Als Chef der Tatortgruppe unterstanden ihm die Leute, die sich um die kriminaltechnische Spurensicherung kümmerten.
»Viel haben wir noch nicht gefunden. Die Überprüfung der Fingerabdrücke wird natürlich noch dauern, und bis das DNA-Material … Aber wenn diese Sache zu den zwei anderen Fällen gehört, wiederholt sich ohnehin das bisherige Spiel. Diverse Spuren, aber eben nichts, das direkt auf einen konkreten Verdächtigen hinweist. Und schon gar nicht auf jemanden, den wir in unserer DNA-Datenbank haben. Ein Unbekannter, der nie irgendwo erfasst wurde. Das ist unser Pech.«
Belonoz nickte. »Ja, das Spiel wiederholt sich. Ich glaube, der Täter hat das einkalkuliert. Er geht Risiken ein, er mordet in fremden Häusern, und das in unterschiedlichen Bezirken. Er betritt die Wohnungen seiner Opfer, er arrangiert ungestört die Leichen. Weil er genau weiß, wie weit er gehen und was er
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