Maedchenauge
sich leisten kann. Er spielt mit uns, und das macht ihm Spaß. Er ist ein Spieler. Und wie jeder Spieler ist er im Grunde seines Herzens ein Arschloch, das von den Schwächen und Ängsten anderer Mitspieler profitiert. So viel ist jetzt immerhin klar, unser Mörder ist ein Arschloch.«
Für einen kurzen Moment herrschte Schweigen in Magdalena Karners Wohnung. Ein paar Mitarbeiter der Tatortgruppe unterbrachen ihre Arbeit für einen Moment und blickten Belonoz an. Steffeks Lippen wurden noch schmaler.
Belonoz hatte keine abstrakte Charakterisierung benutzt, sondern ein Schimpfwort. Er hatte ein ungeschriebenes Gesetz ignoriert. Demzufolge hätten sich Ermittler stets emotionslos mit einem Fall zu beschäftigen, um die vorurteilsfreie und von privaten Urteilen unbeeinflusste Untersuchung eines Falles sicherzustellen. Keiner wusste, woher diese Regel stammte und ob es für sie eine wissenschaftliche Begründung gab. Aber alle befolgten sie.
Bis auf Belonoz. Er verweigerte sich dem Glauben, ein Ermittler müsse ohne Emotionen vorgehen. Im Gegenteil, er war davon überzeugt, dass Gefühle das detektivische Denken bereicherten. Seinen Standpunkt hatte er einmal mit dem Kriminalpsychologen Mario Promegger besprochen. Geradezu begeistert hatte ihm dieser zugestimmt. Aber auch Promegger war ein Außenseiter, nicht zuletzt seiner sexuellen Orientierung wegen.
»Dafür haben wir einen kleinen Hoffnungsschimmer«, meldete sich der Leiter der Tatortgruppe mit plötzlichem Optimismus in der Stimme.
»Und was schimmert?«, fragte Belonoz.
»Spermaspuren. Auf der Bettwäsche.«
»Eher frisch oder schon älter?«
»Mindestens einige Stunden, vielleicht sogar ein paar Tage. Rein gefühlsmäßig.«
»Das ist, ebenfalls rein gefühlsmäßig, kein Hoffnungsschimmer, sondern macht den Fall noch komplizierter.«
Belonoz wunderte sich abermals. Die Wohnung erschien so ordentlich, geradezu klinisch sauber. Er fragte sich, wie Spermaspuren in diesen Kontext passen sollten, und erneut beschlich ihn das Gefühl, etwas passe nicht ins Bild. Aber die verborgene Wahrheit hatte sich zu gut getarnt.
Dass er den Störfaktor nicht benennen konnte, verschlechterte seine Laune. Er dachte an den verdorbenen Nachmittag im Freien mit gegrilltem Fleisch und burgenländischem Rotwein. Als er das geplant hatte, war die Welt noch halbwegs in Ordnung gewesen. Jedenfalls gemessen an den Kriterien seines Berufs. Zwei Morde hatte es gegeben sowie die Angst vor einem möglichen nächsten Mord und einem eventuellen Serientäter. Aber seit ein paar Stunden waren die Befürchtungen von Gewissheit abgelöst worden. Die Titanic steuerte nicht mehr bloß auf den Eisblock zu, sondern war kurz davor, ihn zu rammen.
In sich gekehrt verließ Belonoz die Wohnung und suchte sich im Treppenhaus einen Platz, an dem er ungestört war. Er holte das Handy aus der Sakkotasche und wählte eine Nummer. Möglichst schnell wollte er in Erfahrung bringen, warum man den bisherigen Staatsanwalt abgezogen hatte und wer dessen ominöse Nachfolgerin sein würde.
Nur eines stand für Belonoz bereits fest. Dass diese arme Frau dazu bestimmt war, ein Himmelfahrtskommando zu leiten.
3
Am Stephansplatz kämpften sie sich durch die Touristenscharen, die das Areal um den alten Dom bevölkerten. Englische, russische und italienische Wortfetzen vermischten sich zu einem unverständlichen, dissonanten Chorgesang.
»Ich kann tun, was ich will«, sagte Lily, »aber ich komme einfach nicht los von diesem verdammten, schrecklichen, wunderschönen, herrlichen Wien.«
Vor über einer Stunde hatten sie einander im Café Korb getroffen. Aufgeputscht durch Kaffee und zwei Portionen Topfenstrudel, hüpften Lily und Albine nun fröhlich durch die heiße Innenstadt. Andere Passanten achteten darauf, sich vorwiegend im Schatten und vor allem nicht zu schnell oder nicht allzu viel zu bewegen. Den beiden Freundinnen war das völlig egal. Sie genossen Luft, Licht und Sonne.
»Und vergiss nicht, die Wienerinnen sind nicht annähernd so aktiv wie die New Yorker Frauen«, sagte Albine. »Die Wiener Männer müssen sich mehr bemühen, wenn sie zu etwas kommen wollen. Du solltest das ausnützen. Und ein Casting ansetzen. Auch Party genannt.«
»Um Himmels willen. Ich möchte momentan vieles. Nur keinen neuen Mann in meinem Leben. Ganz sicher nicht . Ich habe keinen Bedarf an emotionalen Schmarotzern.«
»Es gibt auch normale Männer, Lily.«
»Glaubst du wirklich?«
»Habe ich gerüchteweise gehört.
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