Maedchenauge
Verbeugung in Richtung Lily an. Touché, dachte sie und wandte sich an Tom Saborsky. »Sie können bei Ihrer Aussageverweigerung bleiben. Fairerweise lege ich Ihnen aber ein paar Fakten auf den Tisch, die Sie überdenken sollten. Sie waren mit dem Mordopfer gut bekannt, möglicherweise auch auf intimer Basis. Dafür haben wir Zeugenaussagen. Nicht zuletzt hat das Ihre Schwester Nicole bestätigt.«
Für den Bruchteil einer Sekunde schien in Toms Augen etwas aufzuflackern. Doch er hatte sich sofort wieder unter Kontrolle. Und blickte Lily schweigend an.
»Darum wundere ich mich, Herr Saborsky, warum Sie sich nicht bei der Polizei gemeldet haben. Eine Freundin wird ermordet. Aber Sie bieten Ihr Wissen über das Leben von Selma Jordis nicht den Behörden an? Haben Sie nicht dabei helfen wollen, den Mörder zu fangen? Das finde ich seltsam. Aber jetzt machen wir es, wie von Ihnen gewünscht.«
Lily stand auf und machte eine Geste zum Polizeibeamten. »Das Verhör ist beendet. Und Sie gehen zurück in Ihre Zelle. Das ist die erste Konsequenz Ihrer Aussageverweigerung.«
*
Weil Sentimentalität keine Kategorie der Politik ist, war die Umgestaltung des Büros im Nu abgeschlossen. Gerade hatte Berti Stotz hier noch amtiert, nun bezog Marina Lohner dessen Räume im Wiener Rathaus. Sie genoss es, den von Stotz so geschätzten, kleinkariert wirkenden Plunder samt den armseligen Büropflanzen entfernen zu lassen. An dessen Stelle rückte ein Stil, der einer schicken Werbeagentur angemessen gewesen wäre.
Michael Schegula traf zur ersten Besichtigung ein. Und staunte nicht wenig. »Unglaublich, das ist wie ein Facelifting.«
»Eher wie ein Gesichtspeeling, bei dem der ganze Schmutz weggefräst wird und die saubere Haut zutage tritt«, sagte die neue Bürgermeisterin. »Wobei das nur der erste Schritt ist.«
»Du willst hier noch stärker umbauen?«
»Nein, das war ganz prinzipiell gemeint. Nämlich, wie ich mit dem Erbe von Berti Stotz umgehen möchte.«
Sie nahmen auf zwei eleganten Fauteuils Platz, die zu einer kreisförmig angeordneten Sitzgruppe gehörten.
»Also willst du groß ausmisten?«, fragte Schegula.
»Sicher. Der Dreck muss weg. Ich will einen radikalen Neuanfang. Das muss nach außen sichtbar werden. Alles, wofür der Name von Berti Stotz gebürgt hat, soll verschwinden. Bis hin zum Pratorama -Schlamassel.«
Gelassen zündete sich Marina Lohner eine der von ihr geschätzten sehr langen und sehr schlanken Zigaretten an, die sie sich ein paarmal pro Tag genehmigte.
Schegula konnte seine Besorgnis nicht länger verbergen. »Ist das nicht gefährlich? Wird das nicht unnötig Staub aufwirbeln? Wir haben derzeit ohnehin keine gute Presse.«
» Pratorama ist sowieso in aller Munde. Also nehmen wir unseren Gegnern die Munition weg. Wir legen uns ein Saubermann-Image zu. Damit werden wir ein paar alte Stotz-Kumpanen vergraulen. Egal, die hängen uns ohnehin wie Blei an den Füßen. Und kosten uns mehr Wählerstimmen, als sie uns bringen. Was kümmern mich diese Unternehmer-Seilschaften, die sich in Wien breitgemacht haben und seit Jahren alle öffentlichen Aufträge unter sich aufteilen? Sie schaden uns mehr, als sie uns nützen. Also weg mit ihnen. Ich werde Oliver Seiler sicher nicht dabei behilflich sein, sich in den Medien weiter als der große Aufdecker feiern zu lassen. Vielleicht ist sein Ziel, in die Politik zu gehen. Seine Kollegin Horn habe ich schon angerufen, aber nicht erreicht.«
»Du gehst damit ein großes Risiko ein. Befürchte ich zumindest.«
»Das ganze Leben ist ein einziges Risiko. Mit dir eine Beziehung zu haben, ohne dass Stotz es merkt, war ein Risiko, richtig?«
Schegula lächelte und beugte sein Haupt demütig.
Lohner hob triumphierend die Augenbrauen, was nur selten geschah, sonst hätte ihre Stirn mehr Falten aufgewiesen. »Na, siehst du. Wobei ich Lily Horn gar nicht als Risiko sehe. Im Gegenteil, es wäre schlimmer, sie einfach zu ignorieren. Dieses Büro habe ich mir nicht als Provisorium eingerichtet. In einem Jahr möchte ich immer noch hier sitzen. Vielleicht auch noch in fünf Jahren, falls ich nicht Bundeskanzlerin geworden bin. So wie ich dann noch immer mit dir den besten Sex haben will, den eine Wiener Politikerin nur kriegen kann.«
*
Die Straßen und Plätze flogen an ihnen vorbei. Plötzlich erschien die Stadt weniger feindselig. Weil sie es geschafft hatten, eine Fährte aufzuspüren.
Belonoz wunderte sich dennoch. »Da ist also Tom Saborsky beinahe täglich
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