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Maedchenauge

Maedchenauge

Titel: Maedchenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian David
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mit alten, möglicherweise kostbaren Möbeln vollgestellt. Stilistisch bot sich ein wilder Mix aus Barock, Biedermeier und Jugendstil dar. Die Wände waren mit Gemälden unterschiedlicher Epochen bestückt. Es war überraschend dunkel im Haus, wofür die schweren Vorhänge vor den Fenstern verantwortlich waren. Lily empfand den sofortigen Wunsch, die Beleuchtung anzudrehen, so düster war es hier. Vor allem jedoch empfand sie ein leichtes Unbehagen. Ihr, die saubere Wohnflächen schätzte, wäre es wie ein Albtraum vorgekommen, das Innere dieses Gebäudes putzen zu müssen. Der genauere Blick offenbarte, dass auf dem gesamten Interieur eine Art Patina aus Staub lag. Lily gewann den Eindruck, sich durch ein vernachlässigtes Museum zu bewegen.
    »Gehen wir hinauf in den Salon«, sagte Lavinia. »Dort kann man besser reden.«
    Sie führte ihre Gäste über eine massive Holztreppe in den ersten Stock. Auch der Salon war zum Bersten möbliert, doch die stilistisch äußerst unterschiedlichen Bilder an den ungefähr vier Meter hohen Wänden waren allesamt Porträts, die stets dieselbe Person zeigten, einen Mann mit einer üppigen Haarmähne. Die Bilder mussten in verschiedenen Jahrzehnten entstanden sein, das geschätzte Alter des Abgebildeten variierte zwischen vierzig und siebzig. Die einst dunklen Haaren waren schließlich einem tiefen Weiß gewichen.
    »Entschuldigen Sie meine Neugier, aber wer ist das?«, fragte Lily.
    »Mein Vater«, erwiderte Lavinia, deren Stimme bei diesen Worten an Festigkeit gewann.
    »Interessant«, sagte Lily und bemerkte, dass Belonoz ihr einen ironischen Blick zuwarf.
    Eine Wand des Salons wurde durch eine Flügeltür durchbrochen, die offen stand. Lily konnte einen Schreibtisch erkennen. »Ein Arbeitszimmer?«
    »Richtig, da hat mein Vater früher gearbeitet«, sagte Lavinia und lächelte plötzlich verträumt.
    »Herrlich, ich liebe diese alten Räume, die noch Spuren der Vergangenheit aufweisen. Darf ich es mir kurz anschauen?«
    In Lavinias Stimme machte sich unüberhörbarer Stolz bemerkbar. »Sehr gerne, bitte gehen Sie vor. Es wird Ihnen gefallen.«
    Lily trat über die Schwelle in den Raum. Der Stil der Einrichtung unterschied sich prinzipiell nicht von den anderen Räumen des Hauses, die Lily bisher kennengelernt hatte. Doch hier standen Stapel mit Unterlagen und Büchern herum, sogar vereinzelte Bündel längst nicht mehr aktueller Zeitungen okkupierten den Raum. Gemälde gab es dafür keine. An den Wänden waren gerahmte Diplome und Fotografien zu sehen. Lily sah genau hin und erkannte den Mann wieder, dessen gemaltes Konterfei den Salon dominierte. Hier war er jeweils zusammen mit anderen Personen zu sehen. Manche konnte Lily als prominente Künstler und Wissenschaftler identifizieren, andere waren ihr fremd. Lily war, als befände sie sich in einem jener rekonstruierten Gedenkräume, in denen Museen an das Leben bedeutender Persönlichkeiten erinnerten.
    Inzwischen hatte Belonoz auf einem üppig gepolsterten Sofa Platz genommen. Lily kehrte in den Salon zurück und fragte, ob sie sich auf den daneben befindlichen Stuhl setzen könne. Echter Jugendstil, blankes Holz. Polstermöbel waren Lily als Hort von Staub und Schmutz eher zuwider. Lavinia, die noch immer stand, nickte freundlich.
    »Möchten Sie etwas trinken?«, fragte die Gastgeberin. »Tee, Kaffee oder Mineralwasser? Auch Cola und Fruchtsaft könnte ich anbieten.«
    Belonoz hob höflich abwehrend die Hände. »Für mich bitte nichts.«
    Lily schloss sich an. »Nein danke, Frau Saborsky. Wir werden Sie nicht lange belästigen. Aber herzlichen Dank für Ihre Mühe.«
    »Selbstverständlich«, sagte Lavinia und setzte sich auf einen gepolsterten Lehnstuhl, der zum Sofa passte. »Was möchten Sie von mir wissen?«
    Sie atmete kurz durch, dann begann Lily: »Zunächst bin ich Ihnen dankbar, dass Sie mir diesen Termin ermöglicht haben. Ich weiß, dass Ihnen die Hausdurchsuchung heute Nacht Unannehmlichkeiten bereitet hat. Dazu noch die Verhaftung Ihres Bruders …«
    »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Lavinia überraschend unbekümmert, sie war nun mehr Mädchen als Frau. »Sie erledigen eben Ihre Pflicht. Für mich ist das die Gelegenheit, Ihnen mit dem, was ich weiß, zu helfen. Also fragen Sie mich bitte, was immer Sie wissen möchten.«
    »Mich würde interessieren, welches Verhältnis zwischen Ihrem Bruder und Selma Jordis bestanden hat.«
    »Tom hat Selma sehr gemocht. Vielleicht war sie seine große Liebe … Ich

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