Maedchenauge
kann das schwer beurteilen. Ich bin ja seine Schwester, also sehe ich gewisse Dinge natürlich verzerrt, weil es dieses Nahverhältnis gibt. Wie auch immer, ich bin überzeugt, dass zwischen Tom und Selma etwas sehr Inniges im Gange war. Sie waren so oft zusammen wie möglich. Und Selma hat Tom verändert. Er ist durch sie ein anderer Mensch geworden. Nein, das war sicher nicht irgendeine Beziehung. Das war schon etwas Besonderes.«
Lily fiel auf, wie gewählt und überlegt sich Lavinia ausdrückte. Blitzschnell, als sie ihr Notizbuch sowie ein paar Unterlagen aus ihrer Tasche hervorholte, schaute sie zu Belonoz. Dessen Blick war erstaunlich konzentriert und ruhte auf Lavinia, als wollte er sie nicht aus den Augen lassen. Das Gesicht des Majors war entspannt und ausdruckslos. Lily überlegte, ob und wann er sich in den Dialog einschalten würde. Bis dahin musste sie allein weitermachen. »Leider möchte Ihr Bruder dazu überhaupt nichts aussagen …«
»Das verstehe ich gut. Sie müssen wissen, dass Tom zwar sehr auffällt, weil er so hübsch ist, und das hat ihm natürlich viele Freundinnen beschert. Oder solche, die das um jeden Preis angestrebt haben. Aber eigentlich ist er extrem zurückhaltend. Sogar ich als seine Schwester weiß nicht alles über ihn. Ich kann nur versuchen, ihn auf den richtigen Weg zurückzubringen, falls er Probleme hat.«
»Und Ihre Schwester Nicole … was glauben Sie, welche Rolle spielt sie in dieser Sache?«
Lavinia zögerte kurz. »Wie meinen Sie das, Frau Doktor?«
»Nicole ist oft zusammen mit Ihrem Bruder und Selma Jordis gesehen worden. Außerdem gibt es Hinweise, dass Nicole und Tom gemeinsam … ich hoffe, das ist jetzt kein Schock für Sie … also dass die beiden Drogen beschafft haben. Heroin und Marihuana.«
Lavinia atmete tief durch, dann lächelte sie wie befreit. »Nicole ist ein Fall für sich. Sie liebt Tom seit Kinderzeiten. Sie hängt sehr an ihm und versucht ihn in jeder Hinsicht zu unterstützen. Vielleicht sogar auf eine Weise, die gar nicht günstig für ihn ist. Weil sie ihn zu sehr vor allem Bösen beschützen will. Aber sie hat … ihre eigenen Probleme, um es so zu formulieren.«
Lily bemühte sich um ein verständnisvolles, geduldiges Lächeln. Auch wenn in ihrem Inneren schon wieder die Neugier brannte. »Was meinen Sie damit, Frau Saborsky? Sprechen Sie von Drogen?«
»Ich möchte hier nichts Schlechtes über Nicole sagen. Im Gegenteil … Die Drogen waren das Problem meines Bruders, nicht das von Nicole. Ich bin überzeugt, dass Nicole nichts damit zu tun hat. Tom dagegen … Er ist schwächer, als man denken möchte. Deswegen hat er es in London nicht ausgehalten.«
»Was hat er dort gemacht?«
Lavinias Blick schien sich nach innen zu kehren, mit der Hand strich sie sich über ihre Stirn. Als wollte sie sich beim Erinnern selbst trösten und beruhigen. »Er war als Model tätig, anfangs wirklich erfolgreich. Wenn Sie im Internet recherchieren, finden Sie Fotos von ihm. Aber dann ist er leider … Er ist schwach geworden. Und undiszipliniert. Er hat wichtige Termine geschmissen, obwohl große Designer ihn haben wollten. Das Interesse an ihm ist radikal gesunken. Darum ist er nach Wien zurückgekehrt. Nicole hat versucht, ihm zu helfen.«
»Das heißt … Sie haben von seinem Drogenproblem gewusst?«
»Logisch. Aber als Angehöriger ist man in einer schwierigen Position. Was immer man auch sagt, es ist falsch. Besonders, wenn man die Schwester ist. Nicole hat trotzdem nicht lockergelassen.«
Belonoz meldete sich zu Wort, er hörte sich ungewohnt weich an. »Auf welche Weise hat Nicole versucht, Tom zu helfen?«
»Durch eine entsprechende Therapie natürlich«, sagte Lavinia und sah den Major lange an. »Nicole hat etwas in die Wege leiten wollen. Tom hat sich, soviel ich weiß, bei einigen Experten erkundigt, ob sie ihm helfen könnten. Er hat unbedingt wieder Model sein wollen. Das hat ihm Spaß und Erfüllung gebracht.«
»Wann hat er London verlassen?«, fragte Lily.
»Vor zwei Jahren.«
»Was hat er seitdem gemacht?«
»Offen gesagt, nicht viel. Er hat alles versucht, um wieder in sein altes Leben zurückkehren zu können. Bisher ist ihm das nicht richtig gelungen. Dafür war er bis gestern ein kleiner Star auf Wiener Partys. Die coolsten Mädchen haben sich um ihn bemüht. Und er hat sie beeindruckt, indem er Anekdoten über seine Arbeit als Model erzählt hat.«
Blitzschnell fuhr Belonoz dazwischen, nach wie vor mit völlig
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